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Der Ruf des Kulanjango

Der Ruf des Kulanjango

Titel: Der Ruf des Kulanjango Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gill Lewis
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    Jeden Tag verfolgten wir Iris’ Reise. Sie brauchte drei Tage, um den Süden Spaniens zu erreichen, und blieb dort annähernd eine Woche in der Nähe eines Stausees, bevor sie über die Straße von Gibraltar flog. Ich rief Hamish an und sagte ihm, dass Iris sich nun nach Afrika aufgemacht habe. Hamish erzählte mir, er sei schon mal in Gibraltar gewesen und habe dort Massen verschiedener Zugvögel gesehen, die auf das richtige Wetter warteten, um die Meerenge zu überqueren. Dabei gehe es wie in einer Flughafenlounge zu – ein Gerangel unterschiedlichster Vögel um die besten Plätze, bis sie der richtige Wind oder ein klarer Himmel über das Meer trägt.
    Mir aber bereitete vielmehr die Wüste Sorge. Auf der Karte erstreckte sich die riesige Wüste Sahara über ganz Nordafrika. Auf Fotos war eine unendliche Dünenlandschaft zu sehen. Ich las von Felsen, die so heiß waren, dass man darauf ein Ei braten konnte, und von Sandstürmen, die so gewaltig waren, dass sie einem die Haut vom Leib reißen konnten.Kaum zu glauben, dass Iris über diesen gigantischen Backofen fliegen würde, ohne Wasser und ohne Aussicht auf einen Fisch.
    Und dann wurde meine schlimmste Befürchtung wahr.
    Kein Signal von Iris.
    Ich rief Hamish an.
    »Vielleicht hat sie zwischen den Felsen Unterschlupf gefunden«, meinte er. »Wenn der Solarakku im Dunkeln Energie verliert, wird kein Signal übertragen.«
    »Aber es ist mitten am Tag«, wandte ich ein. »Eigentlich müsste sie fliegen. Es gibt dort genug Sonne, ist ja schließlich die Sahara.«
    »Ich weiß«, seufzte Hamish. »Wir müssen einfach warten. Mehr können wir nicht tun.«
    In dieser Nacht konnte ich kaum schlafen. Ich wachte früh auf und gab Iris’ Code in den Computer ein.

    11. September
    KEIN SIGNAL
    »Ich hab sie verloren, Dad«, sagte ich. »Gestern gab’s kein Signal. Sie ist zu weit nach Osten abgedriftet, in die Sahara.«
    Dad zog den Saum des Vorhangs am Fenster beiseite. Draußen war es noch dunkel und Eisregen klatschte an die Scheibe. »Ich brauch Hilfe bei den Schafen, Cal. Wir müssen sie von den Bergen herunterbringen.«
    »Sie ist hundertachtundsiebzig Kilometer vom Meer entfernt.«
    »Es gibt ein paar schwache Mutterschafe, nach denen ich sehen muss.«
    »In der Sahara ist die Sonne noch nicht aufgegangen. Vielleicht finden wir sie wieder, wenn die Sonnenstrahlen auf die Solarzellen ihres Senders fallen.«
    Dad blickte mich an. Ich hatte gedacht, er hätte mir nicht zugehört, aber er hatte.
    »Cal«, sagte er, »auch ich möchte, dass Iris in Sicherheit ist, aber es wird nichts bewirken, wenn du deine Nase den ganzen Tag an den Bildschirm drückst. Sie ist ein Wildvogel und sie befindet sich in einer unwirtlichen Landschaft. Das weißt du. Und du kannst ihr von hier aus dort draußen nicht helfen. Sie ist ganz auf sich allein angewiesen.«
    »Aber Dad, sie ist eine Kämpferin, stimmt’s?« Ich schaute auf den Bildschirm, auf den exakten Ort ihres letzten Signals. Jeden Tag ihrer Reise zoomte ich mich auf Google Earth an ihren jeweiligen Standort heran und schwenkte über die Landschaft, die sie durchquerte – als würde ich bei ihr sein, als würde ich die ganze Strecke direkt neben ihr fliegen.
    »Komm schon, Cal«, sagte Dad. »Geh jetzt frühstücken und hilf mir dann bei den Schafen. Vielleicht können wir später den Adlerhorst wetterfest machen. Heute Nacht wird es Sturm geben. Sichern wir das Nest einfach fürs nächste Frühjahr. Das ist alles, was wir machen können.«
    Ich wollte eben den Computer ausschalten, aber bevor ich die Tasten drücken konnte, blitzte ein kleiner orangefarbener Fleck auf dem Bildschirm auf. Das konnte nur eines bedeuten. »Sie ist wieder da, Dad!«, rief ich. »Ein Signal, dort in der Wüste! Es ist ihr Signal!«
    Dad guckte auf den Bildschirm und fuhr mir mit der Hand durchs Haar. »Ja«, lächelte er. »Vielleicht hat sie es sich gerade an einer grünen Oase gemütlich gemacht und lässt die Füße ins Wasser baumeln, mit einem coolen Drink neben sich.«
    »Dad!« Ich stupste ihn in die Seite, aber ich konnte dabei nicht aufhören zu grinsen.

    11. September
    5:30 WEZ
    Wüste Sahara
    31°30‘08,84“ N 0°41‘37,21“ O
    Geschwindigkeit: 0 km/h
    Zurückgelegte Distanz: 3812,02 km

    Iris öffnete die Augen und sträubte ihr Gefieder. Über dem Horizont breitete sich eine fahle, orangefarbene Morgendämmerung aus. Nirgendwo gab es für sie Orientierungspunkte, keine von Grün umsäumte Oase, kein leuchtender Streifen

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