Der Ruf des Kulanjango
sickerten dicker Eiter und Blut. Sechs Nächte waren vergangen, seit Iris den letzten Fisch gefangen hatte.
Unter ihr schwamm eine Schlange, den Kopf über Wasser, durch den grünen Strom und hinterließ eine gewundene Kielwasserspur. Das Reptil züngelte, witterte Beute. Aufgeregt schlängelte es sich in Richtung des verletzten Adlerweibchens. Iris schlug heftig mit den Flügeln und stieg hinauf in die warme, träge Luftüber den Mangroven und dem grünen Fluss. Die Flut kräuselte sich in sanften Wirbeln um die Schlammbänke, auf denen die Krokodile in der Hitze dösten. Die Luft war voll von surrenden Insekten. Das Boot eines Fischers trieb gemächlich dahin. Die Ruhe wurde nur durch das Zucken der Fische unterbrochen, die dicht unter der Wasseroberfläche schwammen.
Iris ließ sich mit angelegten Flügeln und ausgestreckten Krallen in die Tiefe fallen. Die Wasserfläche schien auf sie zuzustürzen. Wie ein silberner Blitz schoss der Fisch nach unten, aber Iris schlug zu und griff sich mit dem heilen Fuß einen Fisch.
Flügelschlagend erhob sie sich über den Fluss. Sie flog direkt in den mächtigen Schatten mörderischer Krallen und eines ebenso mörderischen Schnabels.
Iris drehte ab. Der Seeadler ging in Schräglage, flog eine Kurve, blieb dicht hinter ihr und jagte sie über das offene Wasser. Sie konnte das Pfeifen seiner Schwingen hören und das Rauschen der Luft im Abwärtsflug. Sie ließ den Fisch fallen. Der Seeadler krallte ihn sich und schwang sich mit der gestohlenen Beute auf und davon.
Iris flog zurück in den Mangrovenwald und ließ sich auf einem alten, toten Baum am Ufer eines Wasserlaufs nieder. Ihr schmerzender Körper war von Fieber geschwächt. Sie drängte sich durch die verrottete Baumrinde in den hohlen Stamm und schmiegte sich an das kühle, feuchte Holz. Dann schloss sie die Augen und fiel durch endloses Dunkel tiefer und tiefer in einen traumlosen Fieberschlaf.
Kapitel 29
Den ganzen Tag über konnte ich mich auf nichts konzentrieren. Nach der Kirche hatte ich meine E-Mails gecheckt. Nichts. Auch von Iris gab es noch kein Signal.
»Du brauchst ein bisschen frische Luft«, sagte Mum. »Das hilft gegen Halsentzündung.«
»Du kannst die Schafe von der unteren Weide heimbringen«, schlug Dad vor. »Ich muss noch mal nach den schwachen Tieren sehen.«
Ich band Kip los, unseren jungen Hütehund. Als Dad ihn bekommen hatte, war er ein bisschen frech und übermütig gewesen. Ein paar Freunde mit kleinen Kindern hatten uns mal besucht und Kip hatte sie alle in eine der Scheunen gejagt. Aber jetzt trieb er hauptsächlich die Schafe zusammen oder die Hühner, wenn sie in den Hühnerstall sollten.
Kip und ich gingen das Tal hinunter aufs Dorf zu. Der Boden unter unseren Füßen war morastig. Vor den Weidegattern hatten sich tiefe Reifenspuren in den Schlamm gegraben. Ich platschte durch die Pfützen und das Wasser schwappte mir fast über die Stiefelränder.
Kip rannte schon voraus, auf die Schafe am anderen Ende der Weide zu. Gewöhnlich nahm ihn Dad zusammen mit Elsie raus. So konnte der junge Hund vom alten lernen. Ich pfiff nach Kip, aber der Gegenwind trug den Ton davon. Der Hund raste zu schnell auf die Schafe zu und die stoben auseinander. Dann wusste er nicht, wohin er rennen sollte. Ich pfiff noch einmal und jetzt hörte er. Ich schickte ihn um die Herde herum nach hinten und brachte ihn dazu, sich hinzulegen. Die Schafe beruhigten sich und rotteten sich wieder zusammen. Dann pfiff ich nach ihm, damit er sie langsam in Bewegung brachte. Er lief im Eiltempo los, hielt dabei den Bauch am Boden und ließ die Schafe nie aus den Augen. Dad hatte mir mal erzählt, die Border Collies seien so gezüchtet worden, dass der alte Jagdinstinkt der Wölfe in ihnen zum Vorschein käme. Es verblüffte mich immer wieder, wie das Verhalten so in ihnen verankert sein konnte. Als unlösbarer Bestandteil ihrer Anlagen. Genauso wie die Sache mit den Fischadlern und ihrem Wandertrieb. Da stellte ich mir doch die Frage, was wohl in mir tief vergraben lag.
Ich ließ Kip die Schafe den Hügel hinauf zum Hof treiben. Auf dem ganzen Rückweg blies mir ein kalter Wind ins Gesicht. Die Wolken hingen tief und grau über der Landschaft und über die Berggipfel zogen Nebelstreifen. Im Hof warteten Dad und Graham auf die Schafe. Ich kettete Kip wieder an seine Hundehütte, legte frisches Stroh aus und gab ihm eine Handvoll Hundekuchen. Dann flitzte ich zurück in die Küche.
»Ich hab Karamellbonbons
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