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Der Ruf des weißen Raben (German Edition)

Der Ruf des weißen Raben (German Edition)

Titel: Der Ruf des weißen Raben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sanna Seven Deers
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Gestern bin ich fertig geworden.«
    »Heather, was für eine feine Arbeit! Chad, schau dir an, was Heather für Emma gemacht hat!« Sie wies auf die Spange, dann wandte sie sich wieder an Heather.
    »Danke. Emma wird sie sicher jeden Tag tragen. Sie liebt alles, was du für sie machst.«
    Myra nahm die Haarspange entgegen. Sie wollte etwas sagen, aber sie zögerte. Es gab etwas, das sie Heather fragen wollte, etwas, das ihr seit dem Besuch von Morris nicht aus dem Sinn ging.
    »Heather«, begann sie schließlich doch und sah die alte Frau forschend an. »Konntest du dich vorhin im Gespräch wirklich nicht an das genaue Ende der Legende und die Einzelheiten über den Talisman erinnern? Du hast mich danach gefragt, dabei bist du es, die die alten Geschichten und Legenden wie keine Zweite kennt.«
    »Du weißt, mein Kind«, antwortete Heather eindringlich und legte Myra eine Hand auf den Arm, »dass manche der alten Geschichten nicht für jedermanns Ohren bestimmt sind. Und ab und zu kommt es sehr gelegen, dass man im Alter manches vergisst. Seit Morris heute dieses Haus betreten hat, habe ich ein ungutes Gefühl. Ich …«
    Myra strengte sich an, aber sosehr sie es auch versuchte, es gelang ihr nicht, Heathers Worte zu verstehen. Die Stimme der alten Frau wurde immer leiser und undeutlicher, als würde sie sich mehr und mehr entfernen. Myra war, als ziehe etwas an ihr, als versuche etwas, sie aus ihrem eigenen Körper herauszuziehen.

K APITEL 4

Legende
    D as seltsame Ziehen, begleitet von den gegensätzlichen Gefühlen des Unbehagens und des Wohlbefindens, durchströmte ihren Körper und leitete den Wechsel ein …
    Wieder erblickte Myra das bekannte Flimmern zwischen den Felssäulen, und wieder fühlte sie diese unwiderstehliche Anziehungskraft.
    Abermals schritt sie mit wild pochendem Herz zwischen die Felssäulen und trat, ehe sie sichs versah, als ihr junges, ursprüngliches Selbst auf der anderen Seite heraus. Zu ihrer großen Erleichterung befand sie sich diesmal an genau der Stelle, wo sie ihre abenteuerliche Reise begonnen hatte: auf dem kargen Berghang nahe des Gipfels, den sie hatte erklimmen wollen.
    Wieder spürte sie die starken Schmerzen am Kopf, wo der Stein sie getroffen hatte. Unwillkürlich legte Myra ihre Hand auf die mit getrocknetem Blut verklebte Wunde und drehte sich zu der Stelle um, wo sie kurz zuvor zwischen den Felssäulen hindurchgeschritten war. Sie waren verschwunden!
    Verwirrt und außer Atem setzte sie sich.
    Myra wusste, dass der Verstand einem Menschen alles Mögliche vortäuschen konnte. Aber war es tatsächlich möglich, dass sie sich die gerade eben erlebten Dinge eingebildet hatte? Sie konnte sich an alle Einzelheiten erinnern. Sie waren so wirklich wie das struppige Gras, auf dem sie saß, oder wie der harte Felsbrocken, an dem sie lehnte. Aber das war nicht alles. Sie konnte sich an alle Gedanken, an alle Gefühle von Runa und ihrem eigenen älteren Ich erinnern. Und ihr war, als könne sie die verschiedenen Gerüche der anderen Welt noch immer wahrnehmen: das erdige Aroma des riesigen Waldes, den würzigen Duft der Lagerfeuer in Runas Dorf, Chads Aftershave. Chad … Myra spürte noch immer die Berührung seiner Hand, fühlte seinen liebevollen Blick auf ihr ruhen und die tiefe Liebe, die sie für ihn empfunden hatte.
    Ungläubig schüttelte sie den Kopf. Sie verstand sich selbst nicht mehr. Es war, als wohnten außer ihrem Selbst plötzlich noch zwei andere Menschen in ihr, als drängelten sich drei Seelen um einen Platz in ihrem Kopf und ihrem Körper! Sie wusste nicht viel über Psychologie, aber den Zustand ihrer Gefühle empfand sie inzwischen als alarmierend.
    Sie musste fort von hier!
    Suchend sah Myra sich nach dem einfachsten Weg bergab um, als ihr Blick auf den Himmel fiel. Sie stutzte. Kurz bevor sie sich die Kopfverletzung zugezogen hatte, war es ein sonniger Vormittag gewesen. Jetzt war der Himmel wolkenverhangen, und das Licht verriet ihr, dass es bald Abend werden würde!
    Myra wurde immer unheimlicher zumute. Was, in aller Welt, war mit ihr geschehen?
    Sie musste sich Gewissheit verschaffen. Sollte es jetzt tatsächlich Abend sein, würde sie vielleicht mit etwas Glück noch ein oder zwei andere Wanderer finden, die die Gegend gut genug kannten, um zu der späten Stunde noch so weit oben am Berg unterwegs zu sein.
    Ihre Blicke streiften über den Hang. Welch ein Glück! Eine kurze Wegstrecke weiter unten sah sie jemanden stehen. Die Person hatte ihr den

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