Der Ruf des weißen Raben (German Edition)
unter Chads Füßen löste. Chad glitt aus, rutschte nach unten und landete sicher auf dem Pfad.
»Lass los und komm herunter!«, rief er Myra zu, während er sich aufrichtete und abklopfte. »Schnell!«
»Chad, ich kann nicht …« Plötzlich landete ein Zweig auf ihrer Schulter, und sie blickte nach oben. Morris hatte sie eingeholt und sein Gewehr auf sie angelegt!
Ohne länger zu überlegen, ließ sie sich los und rutschte über die Felsen hinunter.
Chad fing sie auf, ergriff ihre Hand und zog sie weiter in Richtung einer Hängebrücke.
»Komm schon!«
Die Zeit verstrich wie in Zeitlupe. Myras Herz raste.
Endlich erreichten sie eine Stelle, an der der Pfad ein wenig bergab führte und dann in die Hängebrücke überging.
Die Brücke war eine einfache Konstruktion aus Seilen und Holzbohlen. Sie überspannte den tosenden Bach in ungefähr acht Meter Höhe. Myra blieb stehen, als sie durch die Lücken der Bohlen nach unten blickte.
Doch Chad schob sie vor sich her.
»Weiter, weiter! Beweg dich!«
Myra zwang sich, nicht nach unten, sondern nur auf die andere Seite der Schlucht zu blicken.
Auf der anderen Seite angekommen, schob Chad sie zur Seite und begann, mit seinem Fahrtenmesser die Seile, die die Bohlen zusammenhielten, durchzuschneiden. Er arbeitete schnell und konzentriert und blickte dabei immer wieder auf, um nach Morris zu sehen.
»Er kommt, Chad! Beeil dich!«
Doch bevor Morris die Hängebrücke erreichen konnte, hatte Chad das letzte Seil durchschnitten. Die Handseile und Holzbohlen der Hängebrücke fielen in die Tiefe und krachten gegen die Felsen auf der gegenüberliegenden Seite der Schlucht.
»Morris muss sich einen anderen Weg suchen, um zum Parkplatz zu gelangen. Komm, verschwinden wir von hier!«
Aber noch bevor sie sich außer Reichweite bringen konnten, hallten wieder Schüsse durch die friedliche Berglandschaft.
Myra bückte sich und hielt schützend die Arme über den Kopf, während sie hinter Chad hereilte.
Die Schüsse peitschten durch die Schlucht und prallten an den Felswänden ab.
Plötzlich schlug eine Kugel direkt neben Myra in die felsige Wand ein. Steinsplitter sprühten durch die Luft, und sie schrie auf. Einer der messerscharfen Splitter hatte ihre linke Hand getroffen. Blut quoll zwischen ihren Fingern hervor, und sie sackte zusammen. Chad fing sie auf und zog sie wieder auf die Beine.
»Weiter! Schnell! Es ist nicht mehr weit bis zum Auto.«
Myra biss die Zähne zusammen. Sie liefen den Pfad entlang und ließen die Schlucht und den immer noch Schüsse abfeuernden Morris hinter sich. Je näher sie dem Parkplatz kamen, desto dichter standen die Bäume, und Myra begann, sich sicherer zu fühlen.
Kurz darauf erreichten sie den Parkplatz, und erleichtert ließen sie sich in Chads Wagen fallen.
»Es ist kein anderes Fahrzeug hier«, bemerkte Myra. »Wie ist Morris hierhergekommen?«
»Ich weiß es nicht.« Chad holte seine Erste-Hilfe-Tasche unter dem Beifahrersitz hervor. »Hier, da müsste etwas für deine Hand drin sein.« Er startete den Motor. »Ich kann dir jetzt nicht helfen. Ich fürchte, wir haben keine Zeit zu verlieren. Morris weiß, wo ich wohne. Wir müssen also eine Weile irgendwo untertauchen!«
Myra nahm das Verbandzeug und beobachtete, wie Chad als Nächstes ein Gewehr unter dem Sitz hervorholte, es lud und hinter sich auf die Rückbank legte. Dann fuhr er los.
»Was hast du vor?«
»Als Erstes sollten wir ein paar Dinge aus meiner Wohnung holen, du weißt schon: Papiere, Campingkocher, Geschirr, frische Kleidung, meinen Revolver und so weiter. Wir wissen schließlich nicht, wo wir untertauchen müssen und für wie lange«, überlegte er. »Eines steht fest: Wir müssen schnell handeln. Meine Wohnung wird Morris’ erstes Ziel sein. Dann holen wir Heather ab. Es ist sicherer, wenn wir zusammen sind. Anschließend tanken wir den Wagen voll und heben so viel Bargeld wie möglich ab.«
Myra sah ihn fragend an.
»Du weißt, dass jeder herausfinden kann, wo du bist, solange du eine Kreditkarte benutzt.«
»Das hätte ich fast vergessen«, meinte Myra. »Und dann?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht hat Heather eine Idee.«
Myra sah besorgt aus dem Seitenfenster, während draußen die Landschaft an ihnen vorbeisauste. Chad fuhr viel schneller als erlaubt den Highway hinunter. Myra dachte nicht mehr daran, ihre verletzte Hand zu versorgen, sondern hielt sich fest, damit sie in den Kurven nicht gegen Chad geschleudert wurde.
Es dauerte nicht
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