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Der Sand der Zeit

Titel: Der Sand der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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dem Kühlschrank ist Verbandszeug.«
    Ich sah ein, daß er recht hatte, und machte mich daran, den jungen Bootsbesitzer zu verarzten. Ich hatte nicht besonders viel Geschick in solcherlei Dingen, was man an Crandells unterdrückten Schmerzenslauten merken konnte, und als ich fertig war, sah er fast so aus wie der Wikinger in Havillands Keller. Trotzdem nickte er mir dankbar zu, ehe er sich an den Tisch setzte und eine Tasse aus dem Chaos darauf heraus-suchte. Sie hatte einen Sprung. Der Kaffee floß fast so schnell wieder heraus, wie er ihn hineingoß. Ich sah ihm einen Moment lang amüsiert dabei zu, dann wandte ich mich um und trat wieder neben Havilland.
    »Wie geht es ihm?« fragte ich.
    Becker stöhnte zur Antwort, aber Havilland schüttelte erleichtert den Kopf. »Es scheint nichts gebrochen zu sein«, sagte er. »Soweit ich feststellen kann, wenigstens. Was ist ihm denn zugestoßen?«
    Ich setzte schon wieder zu einer ärgerlichen Antwort an, beherrschte mich dann aber und deutete mit einer rüden Kopfbewegung auf die Axt in seinem Küchentisch. »Eine unserer Halluzinationen hat mit dem Ding da nach ihm geworfen«, sagte ich. Havilland erbleichte sichtlich, und ich fügte hinzu: »Gottlob hat sie ihn nur mit dem Stiel getroffen, nicht mit der Schneide. Sieht aus, als hätte er noch einmal Glück gehabt.«
    »Ich … glaube auch«, antwortete Havilland unsicher. »Er muß natürlich zu einem richtigen Arzt. Können Sie ihn fahren?«
    »Theoretisch schon«, antwortete ich.
    »Und praktisch?«
    Ich schnaubte. »Warum gehen Sie nicht hinaus und sehen sich einfach den Wagen an?« fragte ich.
    Zu meinem Erstaunen stand Havilland tatsächlich auf und verließ das Zimmer. Ich blickte ihm kopfschüttelnd nach, dann setzte ich mich vorsichtig neben Jake auf die Bank. »Ich hoffe, er wird jetzt endlich vernünftig«, sagte ich.
    Becker verzog das Gesicht zu einer Grimasse, von der ich nicht ganz sicher war, ob sie ein Lächeln bedeuten sollte oder das Gegenteil.
    »Wo haben Sie so fechten gelernt?« fragte ich, eigentlich nur, um ihn aufzumuntern.
    Jake beging den Fehler, mit den Schultern zucken zu wollen. Das Ergebnis war ein neuerliches schmerzliches Aufstöhnen. »Nirgendwo«, antwortete er mit zusammengebissenen Zähnen. »Ich habe ein bißchen mit den Dingern herumge-spielt, wissen Sie? Wir haben ja genug davon gefunden. Und Havilland hat mir den Rest beigebracht. Verstehen Sie was davon?«
    »Vom Fechten?« Ich nickte, schüttelte aber gleich darauf wieder den Kopf. »Ein wenig, aber ich ziehe … leichtere Waffen vor.«
    Becker grinste und wurde übergangslos wieder ernst. »Sie
    … werden ihm nichts sagen, okay?« fragte er. »Ich habe nichts verraten.«
    Ich wollte ganz impulsiv nicken, aber dann begriff ich, wie dumm das wäre. »Es geht hier nicht mehr um ein gebrochenes Versprechen, Jake«, sagte ich eindringlich.
    »Begreifen Sie immer noch nicht, daß unser Leben auf dem Spiel steht? Und vielleicht auch das anderer. Havillands norwegische Freunde scheinen nicht besonders wählerisch zu sein, was ihre Opfer angeht.« Ich deutete auf Crandell.
    Jake folgte meinem Blick. Einen Moment lang rührte er sich nicht, dann stemmte er sich mit schmerzverzerrtem Gesicht in die Höhe. Er ächzte, als er die verrenkte Schulter belastete.
    »Was ist passiert, Hendrick?« fragte er. »Wieso sind Sie wieder hinausgefahren?« Crandell hörte endlich auf, Kaffee durch die gesprungene Tasse auf seine Hose zu gießen, und sah ihn fast vorwurfsvoll an. »Das bin ich gar nicht«, antwortete er. »Ich bin auf mein Boot gegangen. Wollte mir den Schaden ansehen. Und dann …«
    »Dann?« fragte ich, als er nicht weitersprach.
    Crandell zuckte hilflos die Achseln. »Ich weiß es nicht«, antwortete er. »Ich habe nur einen Schatten gesehen, und dann hab ich eins über den Schädel bekommen. Das nächste, woran ich mich erinnere, ist der Strand.«
    »Aber das ergibt überhaupt keinen Sinn!« sagte ich. »Wieso sollten sie Mr. Crandell angreifen? Er hat nichts mit Hellmarks Fluch zu tun.«
    »Ebensowenig wie Sie, Robert«, sagte Becker. Sein Gesicht verdüsterte sich. »Ich fürchte, sie machen da keinen Unterschied. Ein Leben für hundert, schon vergessen?«
    Havillands Rückkehr bewahrte mich davor, antworten zu müssen. Er war blaß, und er bot auch darüber hinaus einen alles andere als normalen Anblick, es sei denn, man empfindet einen fünfzig Jahre alten Archäologieprofessor als normal, der in der rechten Hand einen gut zwei

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