Der Sandner und die Ringgeister
es nicht viel, dass ein Mensch sich zum Viech wandelt. Nur vom Schicksal einen ordentlichen Tritt in den Arsch.
Wenn der Lehnharter das nächste Mal den Wimmer trifft, wird er sich gscheit wundern über die Umgebung. Zumindest wär er dann sorgenfrei.
Der Lechner scheint noch unterwegs zu sein, die Imhofer macht ihm die Tür nicht auf, letztendlich erreicht er auch den Kare, den Aschenbrenner und die Wiesner nicht. Als hätten sie in Thale beim Hexentanz einen Bund geschlossen, den Sandner im eigenen Saft zu kochen. Um ihnen heimzuleuchten, müsste er sie erst einmal erwischen.
Einzig der Lehnharter erweist sich als treue Seele. Wenn er ein Zamperl hätte, könnte er es nach dem Hauswart benennen.
Zwei Stunden hat er noch, bevor die Frau Fuchs vorbeikommen wird, zwei Stunden, die er totschlagen muss.
Da er das Handy gerade in der Hand hat, ruft er sie an, die Corina.
»Ja?«
»Ich bin’s.«
»Wer ich? Ach du, Josef.«
Jetzt sollte er etwas sagen, ihm fällt aber partout nichts ein. Er will einen Hinweis, was er in der Nacht dahergeplappert hat, das kann ja nicht so schwer sein.
»Du, ich sitz grad im Auto«, sagt sie.
»Hoffentlich mit Freisprechanlage, sonst kost’s was.«
»Sehr witzig. Ich ruf dich nachher zurück, ja?«
»Na, brauchst ned. Ich wollt bloß ... ned so wichtig.«
»Gut, ciao-ciao, Josef.«
Die Verbindung ist unterbrochen. Nicht so wichtig. Die Spreu vom Weizen trennen, alles passt nicht in die Scheune.
Er macht einen Kontrollgang durch die Wohnung. Bekritzelte Papierfetzen, einsame Socken, Einkaufsquittungen vom Netto und schmutzige Kaffeetassen klaubt er aus diversen Ecken.
Endlich ist er zufrieden und lässt sich auf die Couch plumpsen. Ob sein Schmerz nachgelassen hat oder sein Körper sich einfach daran gewöhnt hat, kann der Sandner nicht auseinanderdividieren. Wahrscheinlich fällt es ihm bloß nicht mehr auf, wie die käselnden Füße vom Mitreisenden im Nachtzug nach einer Weile.
Er schenkt sich ein weiteres Glas Wein ein, greift nach der Hoyer. Die ersten Töne, die er anspielt, lassen den Hausmeister und die ganze Lohstraßensippe schrumpfen bis zur Unsichtbarkeit. »One bourbon, one scotch, one beer.«
Die Welt um ihn herum verflüchtigt sich, als wär es Pfeifenrauch, der kräuselnd Richtung Decke schwebt, um sich dort in mikroskopische Teilchen aufzulösen. Keine drei Minuten braucht der Sandner für a bisserl Magie, wenn er allein ist. Die Finger gleiten über die Saiten – eigenständige Wesen, verspielt, vorwitzig, erfahren – ein jeder konzentriert auf seinen Part. Die Wiesner, der Kare, der Hartinger und er, manchmal disharmonisch und manchmal zu einem Riff verschweißt. Keiner kann auskommen. Kurz lächelt er, der Sandner, bevor auch die Kollegen in die Luft entschweben und nur noch eine gespielte Melodie Platz hat und seine raue Stimme dazu.
»And then I sat there, gettin high, mellow, knocked out, feelin good.«
Die Zeit hat für jeden ein anderes Gwand an. Ob du einen funkgesteuerten Chronometer trägst oder einfach zum Himmel hochschaust, schenkt sich nix. Beweisen kann man das zum Beispiel, wenn man im Winter mit der S-Bahn nach Obermenzing muss. Da ist es gescheiter, die Zugankunft per Schneeflockendichte zu schätzen.
Eine Sekunde für einen kräftigen Schlag, zehn Sekunden für Sandners glatzköpfigen Peiniger, zehn Minuten Apfelmaid, drei Stunden sind abgängig im Leben vom Dennis Weiß, zweiundsiebzig Stunden ist ein Mord noch warm.
Grob packt dich die Zeit allweil mit ihren Klauen am Schlafittchen. Sie springt mit dir los, als wär es ein Gefallen, das raffinierte Luder. Ausschmieren kann man sie nur, indem man sie vergisst.
Der Sandner hat keine Ahnung, wie lange er da gesessen ist, Musik lässt sich für ihn nicht in Zeit umrechnen, so wie ein Gefühl auf dem Zifferblatt nichts zu suchen hat. Nur der Rhythmus hat sich verändert, wie er die Gitarre zurückstellt. Eingependelt hat er sich, langsamer ist er geworden, klarer kann er die Dinge wieder betrachten. Nichts rauscht vorbei an ihm. Vielleicht hat es die Zeit gefuchst, dass er sich so gar nicht hetzen lassen will. Eine viertel Stunde bleibt, so die Apfelmaid Schlag neun daherkäme. Die Turmuhr von der Heilig Kreuz Kirche dröhnt auch gleich herunter vom Berg, zur Mahnung.
Der Sandner verlässt noch einmal das Haus. Das Laufen geht befriedigend, dafür kratzt die ungewohnte Wollmütze.
Drei Straßen weiter betritt er die Dönerbude seines Vertrauens. Voll ist es und lärmig,
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