Der sanfte Kuss des Todes
ihr Bein.
Sie ging in die Hocke. »Ist etwas über deinem Mund?«
Ein weiteres Ächzen, das sie als Ja interpretierte.
»Bleib liegen, ja?« Sie sprach möglichst leise. »Ich sehe mal, was ich tun kann, aber meine Hände sind gefesselt, du musst also ein bisschen Geduld haben.«
Sie spürte seine dünnen Arme unter einem weichen Stoff. Wahrscheinlich ein T-Shirt. Dann eine Schulter, dann ein Kinn. Da war etwas Glattes, das sich über seinen Mund spannte. Es musste so etwas wie Isolierband sein.
»Hat er dir den Mund zugeklebt?« Sie schaffte es, eine Ecke wegzuziehen. Es war eindeutig irgendein Klebeband. »Das wird jetzt gleich ein bisschen wehtun. Aber ich werde es ganz schnell machen. Bleib ruhig. Und sei still, selbst wenn es ziept.«
Sie versuchte, das Klebeband fest mit den Fingern zu packen, dann holte sie tief Luft und riss es möglichst schnell ab. Sie hörte, wie er stöhnte, und dann spürte sie seinen warmen Atem an ihren Händen.
»Tut mir leid«, flüsterte sie. »Ist alles in Ordnung? Wir müssen ganz leise sprechen.«
Er sagte nichts, aber sie hörte seinen Atem rasseln. War
er Asthmatiker? Sie hatte keine Ahnung, ob er an irgendwelchen Krankheiten litt.
»Brady, bist du verletzt? Kannst du sprechen?«
»Ja«, sagte er mit rauer Stimme. »Ich bin nur … ich weiß nicht. Irgendwie ist mir komisch. Er hat mir so ein komisches Zeug zu trinken gegeben.«
»Wonach hat es denn geschmeckt?«
»Ich weiß nicht … Grapefruit oder so. Irgendeine Medizin, glaube ich.«
Fiona dachte rasch nach. Lucy war mit etwas betäubt worden, das sie für Hustensirup gehalten hatte. Vielleicht hatte er Brady etwas Ähnliches gegeben. Zumindest waren es wohl keine Schlaftabletten gewesen.
»Auch wenn dir schwummrig ist – erinnerst du dich vielleicht, ob es hier irgendwo einen Lichtschalter oder eine Lampe gibt? Denk bitte nach.«
»Hier drin ist eine Lampe. Er hat sie angeknipst, als er mich das erste Mal hier reingesteckt hat. Der Schrank ist voll mit Kleidern und Sportzeug und so.«
Mühevoll kam Fiona auf die Beine.
»Man muss an so einer Kette ziehen.«
Sie machte einen kleinen Schritt nach vorne und bewegte ihren Kopf, bis sie spürte, dass etwas Metallisches ihre Wange streifte. Sie schaffte es, es mit den Zähnen zu packen, und zog daran.
Licht.
Brady lag zusammengekauert auf dem Boden. Er sah zu ihr hoch, und sie bemerkte rötliche Flecken auf seinem T-Shirt, die wahrscheinlich von der Medizin stammten. Es war kein Blut zu erkennen, aber der Kerl hatte Brady mit Klebeband die Hände auf dem Rücken gefesselt.
Es machte den Eindruck, als könnte sie es zerreißen. Anders
als die Schnur, die sich nur mit irgendeinem scharfen Instrument durchschneiden ließe.
Aus dem Wohnzimmer war plötzlich ein scharfes Bellen zu hören, und sie sahen sich ängstlich an. Wahrscheinlich hatten sie nur wenig Zeit.
»Wir müssen uns beeilen«, sagte sie und ging neben ihm in die Hocke. »Ich werde versuchen, deine Fessel zu zerreißen. Dann suchen wir irgendetwas Scharfes, mit dem wir meine durchschneiden können. Vielleicht kannst du auch die Knoten lösen.«
Während sie fieberhaft an dem Klebeband zerrte, hörten sie, wie eine Tür zufiel. Dann Stimmen.
»Da ist jemand«, sagte Brady.
Die Stimmen wurden lauter, und Fiona versuchte zu verstehen, was sie sagten. Es klang nach einem Streit. Der Hund war verstummt.
Jedenfalls war es nicht die Kavallerie, die zu ihrer Rettung gekommen war. Es musste jemand sein, der den Mörder kannte.
Endlich hatte sie die oberste Schicht des Klebebands zerrissen und nahm sich die nächste vor. Dann hatte sie es geschafft und zog die Streifen von seinen Handgelenken.
»Au …« Er stöhnte, als er seine Arme vorsichtig bewegte.
»Ich weiß, es tut weh, aber du musst versuchen aufzustehen.«
Die Stimmen wurden lauter. Fiona wollte unbedingt mitbekommen, worum es ging.
»Kannst du irgendeinen scharfen Gegenstand suchen, um meine Fesseln durchzuschneiden? Ich bin gleich wieder zurück.« Sie stolperte durch das Zimmer und stieß dabei gegen etwas, vermutlich ein Bett, bevor sie die Tür erreichte. Sie presste ihr Ohr dagegen.
»Es sind Weiße, verdammt noch mal! Was soll der Scheiß?«
Fiona kannte die Stimme nicht.
»Du verlierst offensichtlich das große Ganze aus dem Blick.« Ihr Entführer klang beängstigend ruhig im Vergleich zu dem anderen Mann.
»Welches große Ganze? Du meinst, dass du ein Riesenarschloch bist?«
Fiona drehte sich zu Brady. »Hast du
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