Der Sarg: Psychothriller
Wie soll es denn dann weitergehen?«
»Ich weiß es nicht«, gab Eva zu. Darüber hatte sie sich bisher noch keine Gedanken gemacht.
Er nickte. »Siehst du, das meinte ich. Du wirst dich damit auseinandersetzen müssen.«
»Ja, aber jetzt ist vielleicht nicht der richtige Zeitpunkt dafür, Jörg. Ich habe das Gefühl, es ist alles so durcheinander in meinem Leben im Moment. Die Firma, wie sie von deinem Vater geführt wird, ist so etwas wie ein Anker für mich, verstehst du? Es ist lieb von dir, dass du dir Gedanken um mich machst, aber ich möchte mich mit so etwas jetzt nicht befassen.«
Er zuckte mit den Schultern. »Du musst es wissen, es ist deine Firma und dein Geld. Ich habe es nur gut gemeint, weil ich mir Sorgen mache.«
Es klang beleidigt, aber Eva hatte keine Lust und keine Energie, sich dem Thema weiter zu widmen. Sie wollte allein sein, ihre Ruhe haben. »Jörg, es geht mir im Moment nicht so gut, ich bin sehr müde und würde mich gerne ein wenig hinlegen.«
Er hob beide Hände und stand auf. »Schon gut, ich bin schon weg, kein Problem. Ich muss sowieso zurück ins Büro. Ruh dich aus.«
»Ja, das werde ich versuchen, danke.«
In der geöffneten Tür blieb er noch einmal stehen. »Versprich mir, dass du über das nachdenkst, was ich dir gesagt habe, sobald es dir wieder bessergeht, ja?«
Eva nickte müde. »Ja, das tue ich.« Sie sah ihm noch nach, wie er zu seinem Porsche ging, den er vor ihrer Garage abgestellt hatte. Als sie die Tür hinter sich schloss, dachte sie schon nicht mehr an die Firma. Ihre Gedanken kreisten wieder um einen kleinen Jungen mit fast mädchenhaft weichen Gesichtszügen, um schmerzende Hände, Botschaften, die auf Zeitungen gekritzelt waren und … um den Sarg.
22
Britta hatte ihr Leben satt. Die Wut trieb ihr den Schweiß auf die Stirn, sie hatte das dringende Bedürfnis, jemandem ins Gesicht zu schlagen, einfach so, ganz egal wem, Hauptsache, demjenigen würde es weh tun.
Wann hatte sie endlich genug Mist erlebt? Nicht, dass sie je etwas anderes gekannt hätte als herumgestoßen, verletzt und benutzt zu werden. Aber musste sie jetzt noch zusehen, wie dieser Kerl auch ihr Leben kaputtmachte? Ja, das musste sie wohl, denn er war viel stärker als sie und offensichtlich auch schlauer. Er hatte sie schon oft ausgetrickst, und dabei war sie ihm genauso egal wie alle anderen. Er kannte nur ein Ziel, das wusste sie: Er wollte sich nach all den Jahren zu erkennen geben, er wollte jedem sein wahres Ich zeigen, diese hässliche, diese hasserfüllte Fratze. Dabei waren ihm die Umstände genauso egal wie die Frage, wie sein weiteres Leben aussehen würde. Britta glaubte mittlerweile auch nicht mehr, dass es Rache war, die ihn antrieb. Im Gegenteil, mittlerweile war sie fast sicher, er war selbst genauso abartig wie der Abschaum, der ihn einst gequält und fast getötet hatte und für seinen Zustand verantwortlich war. Aber was zerbrach sie sich darüber den Kopf? Kam es darauf noch an? Nein, kam es nicht. Wichtig war jetzt nur noch eins: Er durfte nicht erwischt werden, denn dann war für sie endgültig und unumkehrbar alles verloren. Dieses Wort stand wie ein Fanal über ihrem ganzen, verpfuschten Leben: Verloren.
Sie stieß ein humorloses, kurzes Lachen aus. Das Verrückteste an allem war, dass ihm eine naive, kleine Gans im Weg stand, die noch nicht mal wusste, wie nah sie der Hölle war. Diese kleine … Waren da Stimmen? Ging es jetzt wieder los? O nein, sie musste sich dagegen wehren. Mit beiden Händen griff sie unter den Tisch und warf ihn mit Schwung um, der polternde Lärm verdrängte die Stimmen, aber nur kurz, dann kamen sie wieder. Sie musste …
Sie muss ruhig sein, das ist ihre Aufgabe, das weiß sie genau, auch wenn sie erst vier ist. Sie hockt ein Stück vom Tisch entfernt auf dem Stuhl in der Küche, auf
ihrem
Stuhl, auf dem sie immer sitzt, wenn Besuch kommt. Sie schaut an sich herunter, betrachtet ihr feines rotes Kleid mit den schmalen Trägern, die so hübsch auf der weißen, verzierten Bluse aussehen, die sie trägt. Die Rüschen scheuern ein bisschen am Hals. Blütenweiße Kniestrümpfe hat sie dazu an, und ihre Füße stecken in schwarz glänzenden, neuen Lackschuhen. Die Besucher draußen im Flur lachen, die helle Stimme ihrer Mutter schneidet hin und wieder dazwischen. Britta versucht herauszuhören, wie viele es sind, die diesmal zu Besuch sind. Drei? Oder doch nur zwei
?
Die Küchentür öffnet sich, sie sind zu dritt, ihnen voran kommt
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