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Der Sarg: Psychothriller

Der Sarg: Psychothriller

Titel: Der Sarg: Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Strobel
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irgendwie diese Stelle an ihren Beinen zu erreichen, wo der Strick befestigt war. Eva presste die Fersen so fest gegen den Holzboden des Sargs, wie es ging, spannte die Beinmuskeln an und hangelte sich mit den Fingern an dem Strick, mit dem ihre Handgelenke gefesselt waren, nach unten. Der Strick spannte sich immer mehr, bis es schließlich nicht mehr weiter ging. Von einem Knoten oder Ähnlichem war an dieser Stelle aber nichts zu spüren, sie musste es noch einmal versuchen. Als sie wieder die Beine ausstrecken wollte, stieß sie mit den Füßen an der unteren Wand an, und ihr war klar, dass sie auf diese Weise nicht weiterkommen würde. Also versuchte sie es noch einmal mit den Fingern und bog dabei den Oberkörper so weit zur Seite, wie es ging, aber es nutzte nichts, sie kam einfach nicht weit genug nach unten. Es war zum Verzweifeln. Es musste doch irgendeine Möglichkeit geben.
Streng dich an, Eva, los. Gib dir einmal im Leben wirklich Mühe.
Wieder verbog sie sich, drückte den Oberkörper zur Seite und gleichzeitig nach oben, streckte die Arme und die geknebelten Hände nach unten, spreizte die Finger und versuchte, begleitet von dumpfem Stöhnen, mit den Fingerspitzen die Stelle zu erreichen …
    Es war zwecklos, sie schaffte es nicht. Unvermittelt wollte sie einen verzweifelten Schrei ausstoßen, aber auch dieses Mal verhinderte das Ding vor ihrem Mund, dass ihre Lippen sich öffneten, und so wurde lediglich ein langgezogenes »Mmmmmmmm« daraus. Und weil die Luft nicht entweichen konnte, die sie hervorpresste, entstand ein Druck, der sich anfühlte, als würde er jeden Moment ihren Kopf zerplatzen lassen. Eva verstummte. Atmete. Atmete. Sie spürte, wie etwas durch ihre Gliedmaßen zog, das sie zwingen wollte, sich zu bewegen, ein Drang, ein Zwang, dem sie sich nicht mehr lange würde widersetzen können.
Bitte lass mich einschlafen und in meinem Bett wieder aufwachen … Jetzt … O bitte …
    Mit wem sprach sie da? Von wem erwartete sie Hilfe? Von Gott etwa? Eva glaubte an keinen Gott. Nein, anders, sie
hoffte
, dass es keinen Gott gab, denn falls es ihn doch geben sollte, war er ein zynischer Bastard, der sich offenbar am Leid seines Spielzeugs Mensch ergötzte. Wie sonst wäre das, was ihr in diesem Moment widerfuhr, zu erklären? Oder Menschen wie ihre Stiefmutter. Wer, der auch nur einen kleinsten, göttlichen Funken in sich hatte, würde zulassen, was diese Frau ihrem kleinen Bruder Manuel angetan hatte? Nein, es durfte keinen Gott geben, wenn man erlebt hatte, was sie hatte erleben müssen.
    Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als endlich wieder aufzuwachen, zu Hause, in ihrem Bett. Jetzt. Hatte es schon einmal so lange gedauert, bis dieser Albtraum vorüber war? Aber es war ganz sicher längst kein Traum mehr, sondern furchtbare Realität.
    Auf Leienberg brauchte sie nicht zu zählen, er hatte nicht verhindern können, dass jemand ihr das erneut antat. Wahrscheinlich schlief er entspannt und hatte nichts bemerkt. Wenn jemand sich ins Haus geschlichen und sie im Schlaf betäubt hatte …
    Der Druck auf ihre Augen wurde schmerzhaft. Wenn sie nur diese Fesseln los wäre! Da wurde ihr bewusst, dass es ihr in den letzten Minuten gelungen war, sich abzulenken. Aber im gleichen Moment war es auch schon vorbei mit der Ablenkung, und dieses Gefühl, dieser Zwang, sich bewegen zu müssen, kehrte mit aller Macht zurück. Erst hoben und senkten sich ihre Knie, wobei ihre nackten Fersen sich geräuschvoll über die Unterlage schoben. Dann begannen ihre zusammengebundenen Hände, sich kreisförmig zu bewegen. Eva registrierte es, doch es war, als würde sich nicht ihr eigener, sondern ein fremder Körper bewegen, auf den sie keinen Einfluss hatte. Immer schneller fuhren ihre Hände hin und her, immer ruckartiger und hektischer wurden die Bewegungen, immer öfter stießen ihre nach oben schnellenden Knie gegen den Sargdeckel.
    Ich muss damit aufhören, ich …
Sie konnte es einfach nicht steuern, ihr Kopf drehte sich nach links, nach rechts, hob sich. Sie schlug mit der Stirn an, und schließlich verlor sie komplett die Kontrolle, versank in einem Chaos aus wilden Bewegungen, die immer wieder abrupt und schmerzhaft an den Wänden und dem Deckel des Sargs endeten, bis sie schließlich in einem schwarzen Strudel versank.
    Als sie wieder zu sich kam, war das erste Gefühl, dessen sie sich noch im Dämmerzustand zwischen Schlaf und Wirklichkeit bewusst wurde, die Erleichterung darüber, dass es vorbei war.

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