Der Sarg: Psychothriller
Goldrand, die weißen Haare lagen ihr in Wellen eng am Kopf. Die Haut an den Wangen hing schlaff herunter, der Mund war eingebettet in ein Tal aus tiefen Furchen. Sie musste mindestens achtzig sein, überlegte Menkhoff. Die Frau nahm ihn erst wahr, als er fast vor ihr stand.
»Guten Tag«, sagte er und nickte kurz der Polizistin zu. »Mein Name ist Bernd Menkhoff, das ist meine Kollegin Jutta Reithöfer. Wir gehören zur Kripo Köln. Würden Sie mir Ihren Namen sagen, bitte?«
»Köhler«, antwortete sie. »Berta Köhler.«
»Gut, Frau Köhler, wir versuchen herauszufinden, was in der Praxis von Dr. Leienberg unter Ihnen geschehen ist. Wie Sie wissen, wurde er niedergeschlagen und eine seiner Patientinnen aller Wahrscheinlichkeit nach entführt. Man sagte mir, sie hätten einen Mann gesehen, der auf der anderen Straßenseite gestanden und das Haus beobachtet hat?«
»Ja, das stimmt. Ich habe der jungen Frau hier gerade schon alles erzählt.«
»Dürfen wir uns einen Moment setzen?«, überging Menkhoff die Bemerkung. Er wartete, bis Berta Köhler nickte, dann zog er einen der Stühle vom Tisch weg und bedeutete Reithöfer, Platz zu nehmen. Dann setzte er sich auf den Stuhl der alten Frau gegenüber.
»Ich habe ihr schon alles gesagt«, wiederholte sie und deutete mit dem Finger auf die junge Beamtin.
»Ja, ich weiß, aber wären Sie so freundlich, es uns trotzdem noch einmal zu erzählen? Dann haben wir die Informationen gleich aus erster Hand, wissen Sie.«
Sie zog die Mundwinkel nach unten, was die Tiefe der Falten in ihrer unteren Gesichtshälfte so sehr betonte, dass sie fast wie eine Karikatur ihrer selbst aussah, und musterte Menkhoff kritisch. »Sie scheinen auch der Meinung zu sein, eine alte Frau wie ich hat nichts mehr zu tun und kann ruhig den ganzen Tag damit vertrödeln, Geschichten zu erzählen. Aber das stimmt nicht, ich habe sogar viel Arbeit. Ich war früher Lehrerin, müssen Sie wissen. Studiendirektorin, am Gymnasium, und ich halte meinen Geist fit. Ich lese jeden Tag viel und lerne noch immer neue Gedichte auswendig. Und das mit vierundachtzig Jahren. Und dann noch die ganze Hausarbeit … Aber gut, dann erzähle ich es Ihnen halt noch einmal, wenn ich damit helfen kann.«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen«, erwiderte Menkhoff und war bemüht, nicht ungeduldig zu wirken.
»Also, das war so ein Rockerkerl, der auf der anderen Straßenseite gestanden hat.«
»Woher wissen Sie, dass der Mann ein Rocker war? Wegen seiner Kleidung?«, hakte Reithöfer nach.
Berta Köhler sah sie verwundert an. »Na, weil er angezogen war wie ein Rocker, er hatte so eine Jacke ohne Arme über der Lederjacke an, und der andere Kerl, der gewartet hat, auch. Und bei dem habe ich gesehen, dass auf dem Rücken der Jacke irgendein Bild aufgenäht oder aufgeklebt war. Und natürlich weil die beiden mit dem Motorrad da waren. Das sind dann doch Rocker, oder etwa nicht?«
»Es gab noch einen zweiten Mann?«, fragte Menkhoff. »Davon wusste ich bisher noch nichts.«
»Ja, das ist logisch, denn wenn Sie alles schon wüssten, dann müsste ich Ihnen das ja jetzt nicht noch einmal erzählen, oder?«
»Also, wie war das genau, wo war der andere Mann?«
»Das sagte ich doch gerade, der saß auf dem Motorrad und hat gewartet. Und der erste, der stand da und hat auf unser Haus gestarrt.«
»Sie haben auf den Rücken dieses zweiten Mannes geschaut, der auf dem Motorrad saß. Haben Sie zufälligerweise auch das Nummernschild des Motorrades gesehen und es sich merken können?«
»Nein.«
»Denken Sie bitte noch mal scharf nach, sind Sie ganz sicher? Das könnte sehr wichtig sein. Auch keinen Teil davon?«
»Nein.«
»Schade. Wie sah der Mann sonst aus? Welche Haarfarbe hatte er, gab es irgendwas Auffälliges an seinem Gesicht? Eine Narbe vielleicht? Oder eine sichtbare Tätowierung?«
»Er hatte lange Haare, dunkel, bis zu den Schultern, und ein bisschen gelockt waren sie, glaube ich. Ich möchte gar nicht wissen, wann der die zum letzten Mal gewaschen hat.«
»Sahen die Haare so ungepflegt aus?«
»Das weiß ich nicht. Er stand ja ein gutes Stück von mir weg, aber diese Kerle haben es doch alle nicht so mit dem Waschen, das weiß man doch. Mehr kann ich Ihnen aber nicht sagen, ich habe ihn ja nur kurz gesehen, dann bin ich vom Fenster weggegangen. Ich habe schließlich Besseres zu tun, als den ganzen Tag am Fenster zu stehen.«
»Dann haben Sie also auch nicht gesehen, ob der Mann ins Haus gegangen
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