Der Sarg: Psychothriller
Arm kann sie nicht bewegen, und auch kein Bein. Britta hebt den Kopf ein Stück an und schaut an sich herab. Sie liegt auf dem Bett im Besucherzimmer, ihre Arme und Beine sind wie ein X abgespreizt und mit Seilen irgendwo am Bett festgebunden. Ein Kleidchen hat sie nicht an, und auch keine Unterhose. Die Tür öffnet sich, und ihre Mama kommt herein. Sie lacht nicht wie sonst, wenn Britta im Besucherzimmer ist. Und es ist auch kein Besuch da. Nur sie und ihre Mama. Das beruhigt sie, auch wenn Mama sie festgebunden hat. Mama kommt an die Seite des Betts und sieht auf sie herab. »Du bist ein böses Mädchen«, sagt sie streng. »Unartig bist du und undankbar. Ich sorge für dich und tue alles, damit es dir gutgeht. Kaufe ich dir nicht laufend neue, schicke Kleider und schöne Schuhe? Bekommst du nicht laufend neue Puppen geschenkt von unseren Besuchern? Hast du nicht alles, was man sich als kleines Mädchen nur wünschen kann? Doch, das hast du. Und was ist der Dank dafür, du durchtriebenes, kleines Aas?« Mamas Hand legt sich auf ihre Brust, mit zwei Fingern packt sie ein Stück ihrer Haut und dreht die Hand dann ganz fest um. Britta stöhnt auf, hält den Mund aber geschlossen. Endlich lässt Mama wieder los. »Ich werde dir jetzt eine Lektion erteilen, Britta …«
»Britta … Britta!!«
Sie riss die Augen auf, brauchte einen Moment, um sich zu orientieren, und blickte in das Gesicht eines Monsters. Sie konnte nichts tun, sie musste schreien, musste die Hände heben und in diese Fratze schlagen, die daraufhin ein Stück zurückwich. Jetzt erst sah sie, dass es kein Monster war, das da vor ihr stand, sondern dieser Kerl, dieser Dagger. Es wurde ihr auch wieder bewusst, wo sie gerade war und warum sie dort war. Das war nicht gut, es war gar nicht gut, dass der Kerl ausgerechnet jetzt auftauchte. Das konnte
ihn
dazu bringen, sofort einzugreifen, um zu verhindern, dass sie Dagger etwas erzählte. Oder würde er es sogar drauf ankommen lassen?
»Was macht du denn hier?«, fuhr sie Dagger an.
»Ich habe dich gesucht, die ganze Zeit schon, seit du aus der Kneipe abgehauen bist. Ich muss dringend mit dir reden.« Auf seinem Gesicht lag Besorgnis.
»Und da lauerst du mir an einer Bushaltestelle auf? Bist du bescheuert oder was?«
»Ich habe dir nicht aufgelauert. Ich bin erst stundenlang wie ein Verrückter kreuz und quer durch die Innenstadt gerannt, und als ich dich da nicht finden konnte, bin ich hier in die Gegend gekommen, weil ich mir dachte, du bist vielleicht hier. Und jetzt habe ich dich gefunden.«
Brittas Gedanken rasten, sie sah an ihm vorbei und entdeckte das Motorrad, das am Straßenrand vor der Haltestelle abgestellt war. Sie kam sich vor wie in einem Suchbild, sie wusste, dass etwas nicht stimmte, aber kam nicht darauf, was es war.
»Britta, ich muss unbedingt mit dir …«
Plötzlich fiel es ihr ein. »Ey, wie kommst du überhaupt auf die Idee, mich ausgerechnet hier zu suchen, hä?«
»Ich bin dir gefolgt«, sagte er, drehte sich um und deutete auf sein Motorrad. In diesem Moment wurde die Welt schwarz.
48
Menkhoff hatte sich einen Stuhl herangezogen und saß Reithöfer nun so gegenüber, dass ihre Knie nur wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. Er ließ sich von ihr eine Zusammenfassung darüber geben, was die Kollegen bisher herausgefunden hatten. Das war jedoch mehr als dürftig. Weder die Liste mit den Namen von Inge Glöckners Freunden und Bekannten hatte etwas zutage gebracht, das in irgendeiner Form beachtenswert gewesen wäre, noch die des zweiten Opfers, Mirjam Walther. Auch ein Abgleich der Listen hatte keinerlei Übereinstimmung ergeben. Noch immer fehlte jegliche Verbindung zwischen den beiden Frauen, so dass sie davon ausgehen mussten, dass zumindest das zweite Opfer zufällig ausgewählt worden war. Daran, dass der Täter Inge Glöckner ganz bewusst ausgesucht hatte, hatte Menkhoff seit dem Moment nicht mehr gezweifelt, in dem er von Eva Rossbachs Sarg-Geschichte gehört hatte.
Er informierte Reithöfer über das, was er über Manuel Rossbach erfahren hatte. »Stell dir das vor, da wird ein kleines, hilfloses Kind von perversen Erwachsenen gequält und fürchterlich misshandelt, immer und immer wieder, und die Ärzte im Krankenhaus flicken es zusammen und schicken es kommentarlos zurück. Und die Einzige, die der Kleine überhaupt hat, die auf seiner Seite steht, ist seine Schwester, die selbst noch ein Kind ist und mit ziemlicher Sicherheit ebenfalls misshandelt
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