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Der Schachspieler

Der Schachspieler

Titel: Der Schachspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey B. Burton
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Kunststoffflasche. Er hielt kurz inne und überprüfte den Verschluss. Er saß noch fest, die Flasche war offenbar noch nicht geöffnet worden. Banning öffnete den Verschluss und stürzte mehr als die Hälfte des Getränks hinunter, bevor er absetzte und nach Luft rang. Das Zeug schmeckte schauderhaft süß, doch es half ihm, nicht zu verdursten an diesem Ort ohne Geheimnisse . Er nahm einen zweiten langen Schluck, wischte sich mit dem Zeigefinger über die Lippen, leckte daran und trank dann die Flasche aus. Nachdem er seinen Durst gestillt hatte, wandte sich Banning wieder seiner Umgebung zu.
    Er sah seinen Anzug von Joseph A. Bank, sein weißes Avanti-Hemd, die seidenen Boxershorts, Designersocken und Gucci-Schuhe etwa zwanzig Schritte entfernt auf einem Haufen liegen, samt der Venezia-Aktentasche aus Kalbsleder. Sein Laptop stand geöffnet daneben, das Display ihm zugewandt. Der Starfield-Bildschirmschoner starrte ihm entgegen wie zur Verhöhnung, sein SecurID Token lag auf der Tastatur. Großer Gott , dachte Banning und biss sich auf die Unterlippe. Ich sollte zu Hause im Bett liegen und schlafen , und nicht in einem schrecklichen Saw -Film gefangen sein, wie er ihn letzten Sommer mit seinem Stiefsohn gesehen hatte, bevor der Junge an die University of California nach Los Angeles zurückkehrte.
    In diesem Augenblick hörte Banning Geräusche aus dem Nebenraum. Gedämpfte Geräusche. Banning beugte sich vor und schloss die Augen. Die Stimme seines toten Großvaters stellte irgendeine Frage. Eine zweite Stimme antwortete, eine schluchzende weibliche Stimme: Nein . Die Grandpastimme fragte erneut, und diesmal verstand Banning ein Wort. Das Wort lautete Kellervick . Ging es um Elaine Kellervick, seine Anlagestrategin, die in dieser Woche ermordet worden war? Diese Wahnsinnstat eines Einbrechers hatte die ganze Firma erschüttert. Großer Gott. Bannings Herz begann schneller zu schlagen. Elaines Mörder hatte jetzt auch ihn in seiner Gewalt. Und er war … der Nächste auf der Liste an einem Ort ohne Geheimnisse . Die Panik ließ ihn erneut an seinen Fesseln zerren, er versuchte, sich irgendwie aus der stählernen Schlinge herauszuwinden.
    Die Stimme des toten Großvaters stellte eine weitere Frage, ganz langsam, es ging wieder um Elaine Kellervick. Diesmal kein Schluchzen als Reaktion. Und dann ein kurzer Satz der Grandpastimme. »Oder Hals?«
    Banning glaubte, den letzten Teil der Frage richtig verstanden zu haben, doch es ergab für ihn keinen Sinn. Was sollte »Oder Hals?« bedeuten? Bevor er jedoch darüber nachdenken konnte, hörte er die weibliche Stimme um Gnade flehen, wieder und wieder. Es folgte eine bleierne Stille, die eine Ewigkeit anzudauern schien, dann das verzweifelte Heulen einer zweiten Frauenstimme von nebenan. Banning sträubten sich die Nackenhaare. Eine Pause, dann ein weiterer Schrei. Banning drückte sich unbewusst gegen das Heizungsrohr, so als könnte er sich durch den zehn Zentimeter breiten Spalt zwischen Rohr und Wand zwängen. Der Schrei zog sich noch länger, war so erfüllt von Schmerz und Todesangst, dass ihm das Blut in den Adern gefror. Obwohl sein eigenes Herz so laut hämmerte, nahm Banning ein Geräusch wahr, wie er es letzten Sommer gehört hatte, als ein paar Männer gekommen waren, um einen vom Sturm geknickten Baum zu entfernen: eine Kettensäge.
    Banning drückte die Fußschelle nach unten, um sie von seinem Fuß zu ziehen, und wenn er sich die ganze Haut dabei herunterriss – doch vergeblich. Der Schrei hallte noch eine Sekunde weiter, dann erstarb er abrupt. Banning sah im grellen Licht der offenen Tür etwas Schwarzes spritzen. Die Motorsäge vollführte noch einige Augenblicke ihr schreckliches Werk.
    Banning vergaß zu atmen. Er merkte nicht, wie ihm der Urin am Bein herunterlief. Die Motorsäge stoppte so plötzlich, wie sie angeworfen wurde. Banning kauerte am Boden wie ein Ballon, dem die Luft entwich. Sie sind der Nächste auf der Liste , fuhr es ihm durch den Kopf.
    Die Gestalt mit der Grandpastimme erschien wieder in der Tür, blickte zu Banning herüber, in der linken Hand die Kettensäge, von der Blut auf den staubigen Beton tropfte. Die Gestalt schritt drei Meter in den Raum auf Banning zu, und kniete sich hin, wie zum Gebet, die Säge aufrecht haltend, die Hand am Griff – wie ein wahnsinniger Priester der Inquisition.
    Die Gestalt trug schwarze Arbeitsstiefel, einen grauen Mechanikeroverall, nun von dunklen Flecken übersät. Und das Gesicht –

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