Der Schaedelschmied
ewige Nacht verhieß ewige Anstrengung.
Ewige Anstrengung verhieß totale Erschöpfung.
Als Frantz mit einer knappen Viertelstunde Verspätung in der Zwanzigsten ankam und am Haupteingang des Minenflügels, in dem er arbeitete, seine Stechkarte abstempeln wollte, baute sich unvermittelt eine breitschultrige Gestalt vor ihm auf- Vorarbeiter Hinreitz, ein elender Leuteschinder, der immer dann aufblühte, wenn andere verzweifelten.
»Was glauben Sie eigentlich, wer Sie sind, Frantz? Was glauben Sie, wo Sie arbeiten?«
Hinreitz stand aufrecht wie ein Baum, die Arme vor der Brust verschränkt. Sein Bart war streng gestutzt, seine Wangen leuchteten rosa, er trug moderne, thaumaturgisch verstärkte Augengläser, die sich automatisch den Lichtverhältnissen in den oft unzureichend ausgeleuchteten Schächten anpassten.
Frantz war schmerzlich bewusst, dass sich sein eigenes Gesicht im Laufe der Jahre grau-schwarz verfärbt hatte. Seine Augen – auf dem einen war er so gut wie blind – lagen in tiefen Höhlen, eingerahmt von rußigen Rändern, die sich schon lange nicht mehr abwaschen ließen. Sein Bart war zerzaust und dünn, borstig wie verdorrter Farn. Frantz war ausgemergelt, wie die meisten Arbeiter, die einen Großteil ihres Lebens in der Tiefe zugebracht hatten. Wenn er sich morgens im Spiegel betrachtete, sah er eine Leiche, einen ausgewrungenen Leib, der ihm nicht länger vertraut war, eine leere Hülle, die zunehmend ihre Funktionen einstellte, verfiel. Manchmal fühlte sich Frantz, als bestünde er nur noch aus Staub und Asche.
»Ihre intolerable Säumnis wird auf Ihrer Stechkarte vermerkt«, bellte Hinreitz. »So weit kommts noch, dass Brüder zweiter Ordnung durch ihre Faulheit unsere straff gegliederten Arbeitsabläufe durcheinanderbringen. Ich weiß nicht, wie Sie sich das vor-stellen, Frantz: Ihre Truppe ist längst unten! Zusätzliche Fahrten mit den Mannschaftsaufzügen generieren zusätzliche Kosten. Und zusätzliche Kosten können wir uns nicht leisten!« Hinreitz seufzte, ein theatralischer, unechter Laut voll Aggression und Hass. Wie immer hielt er ein Klemmbrett in Händen, an dem ein Stück Pergament und ein Gänsekiel befestigt waren. Frantz hatte ihn noch nie etwas niederschreiben sehen. Das Pergament auf dem Brett war unbefleckt wie frisch gefallener Schnee.
»Ist das Ihr erster Eintrag in Ihre Personalakte?«
Frantz nickte.
»Da haben Sie noch mal Glück gehabt, sonst könnten Sie jetzt Ihre Sachen packen. Und ein arbeitsloser Zwerg ist ein toter Zwerg! Bei Thellw, was soll ich bloß mit Ihnen machen?« Hinreitz überlegte kurz und angestrengt – zumindest tat er so –, dann überzog ein boshaftes Grinsen sein viereckiges Gesicht. »Zur Strafe werden sie heute eine Sonderschicht mit Bruder Wylhelm schieben. Diese madige, scheißescheißende Missgeburt ist heute ebenfalls nicht pünktlich erschienen. Wylhelm!«
Als hätte er nur auf seinen Einsatz gewartet, kam ein dicker Zwerg in schwarz verdreckter Arbeitermontur aus einem Aborthäuschen neben den Fahrstühlen gewankt. Er war groß für einen Zwerg, breit und massig, und er grinste wie ein Kind über das ganze schmutzige Gesicht.
Unter den Brüdern war es ein offenes Geheimnis, dass Wylhelm verrückt war. Obwohl er zeit seines Lebens unter Tage schuftete, sah er unverschämt gesund aus. Er hatte glatte Haut, volles Haar, und als Einziger aus seiner ganzen Truppe benötigte er keine Augengläser.
Frantz hatte viel über Wylhelm gehört, aber noch nie selbst mit ihm gearbeitet. Dennoch erkannte er ihn sofort: an dem erschreckend leeren Gesichtsausdruck; dem verträumten Blick ins Nichts; dem halbgeöffneten Mund, der stets von einem naiven, fragenden Lächeln umspielt wurde. Wylhelm war ein Idiot, das lag auf der Hand, aber angeblich konnte er mit der Spitzhacke umgehen wie kein Zweiter. Frantz hoffte inständig, dass etwas Wahres daran war, als sich der Koloss neben ihm aufbaute und sein Werkzeug schulterte.
»Na endlich«, brüllte Hinreitz. »Heil Hindrych!«
»Heil Hindrych«, hauchte Frantz. Wylhelm starrte ratlos Richtung Nirgendwo.
»Für euch Faulpelze habe ich etwas ganz Besonderes: Ihr fahrt jetzt runter in die Vierunddreißigste, in einen Stollen mit der Kennnummer CY-13.«
Frantz schluckte. »In die Vierunddreißigste? Aber dafür benötigen wir Spezialkleidung«, sagte er kleinlaut. »Die Hitze dort unten …«
»Die Hitze interessiert mich nicht. Außerdem habt ihr ja eure Schutzgläser.« Hinreitz hob sein
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