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Der Schaedelschmied

Der Schaedelschmied

Titel: Der Schaedelschmied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lossau , Jens Schumacher
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Oskulapius.
    Wie um die Tatsache auszugleichen, dass er sich als Nicht- Versierter während der Signaturprüfung nicht hatte nützlich machen können, stocherte der Ermittler aus Sherlepp voller Eifer mit allerlei Zangen und Skalpellen im Kopf des Toten herum. Hippolit beobachtete ihn eine Weile hilflos, dann ließ er zähneknirschend die Statuten Norwiens, eines der größten Mediziner, die je in Sdoom gelebt hatten, fahren und versuchte lediglich, sämtliche Nägel aus der Schädeldecke zu entfernen, ohne das umliegende Gewebe unnötig in Mitleidenschaft zu ziehen und etwaige Spuren zu vernichten. Der einzige Lichtblick der nervenaufreibenden Prozedur bestand darin, dass General Glaxiko, dem beim Entfernen der ersten Stahlstifte plötzlich einfiel, dass er kein Blut sehen konnte, während der Obduktion vor der Tür des Saales ausharrte.
    Die Untersuchung der Leiche indes brachte wenig zutage, was Hippolit bei seiner ersten Betrachtung am Tatort nicht bereits festgestellt hätte: Sämtliche Nägel hatten die Schädeldecke des Ministers durchschlagen und in seinem Hirn irreparable Schäden verursacht. Entgegen Glaxikos Vermutung war der Tod allerdings möglicherweise nicht augenblicklich eingetreten. Es ließ sich nicht ausschließen, dass Borkudd selbst nach Eindringen des letzten Nagels noch einige Atemzüge vergönnt gewesen waren – Sekunden, in denen sein zerstörtes Gehirn jedoch kaum mehr in der Lage war, seine fatale Situation zu begreifen.
    Und erst recht nicht, einen Brief zu schreiben!
    »Tatsächlich würde das Vorhandensein eines Abschiedsbriefes nur Sinn ergeben, wenn wir es mit einem Fall von Freitod zu tun hätten«, ließ sich Oskulapius jetzt vernehmen. Er saß am entfernten Ende des Untersuchungslabors, auf einem mit weißem Rindsleder bezogenen Ecksofa. Vor ihm, auf einem eichenen Tisch, lag der Brief, den er im Studierzimmer entdeckt hatte.
    »Wäre ein Selbstmord denn auszuschließen?«, wollte der General erregt wissen. Er stakste ohne Unterlass zwischen Arbeitstischen voller Flaschen, Tiegel und Glaskolben umher, die Hände auf dem Rücken verschränkt, auf dem Gesicht einen in zahllosen Stunden vor dem Spiegel einstudierten Ausdruck professioneller Konzentration. »Ich meine, könnte der Minister seinem Leben nicht tatsächlich selbst ein Ende gesetzt haben? Die gewählte Methode wäre unüblich, fraglos. Aber so ließen sich zumindest Existenz und Wortlaut des Schreibens erklären.«
    Hippolit stieß am anderen Ende des Labors ein Seufzen aus. Erschöpft ließ er den Blick über die Armeen wissenschaftlicher Gerätschaften schweifen, ausnahmslos dem modernsten Stand der Technik entsprechend, über die ledergebundenen Lexika und Folianten, die hinter gläsernen Vitrinentüren zur Recherche einluden. Die Arbeitsbedingungen im Klinikum Zum Heiligen Bruder Gumpert waren exzellent, daran gab es nichts zu rütteln. Hinzu kam, dass nahezu alle Zwerge, denen er hier begegnet war, seine Autorität klaglos akzeptierten und seinen Anordnungen trotz seiner jugendlichen Erscheinung ohne Murren nachkamen. Dennoch hatte er bislang nicht das Gefühl, der Klärung des Mysteriums auch nur eine Haaresbreite näher gekommen zu sein – Glaxiko und Oskulapius sei Dank!
    Er schloss die Augen, massierte seine pochende Schläfe und verfluchte den Lordprotektor der Zwergenstadt für seinen Entschluss, die Klärung des Falles in die Hände gleich dreier Parteien zu legen.
    Hippolit holte tief Luft. »Sie glauben also, werter General, Minister Borkudd hätte sich an seinen Schreibtisch gesetzt, um seine letzten Zeilen zu Papier zu bringen, dann in aller Seelenruhe nach Hammer und Nägeln gegriffen und sich Letztere höchstselbst in den Schädel geschlagen? Einen nach dem anderen?« Er gab sich keine Mühe, den Spott in seiner Stimme zu verbergen.
    Glaxiko blieb stehen, entwirrte seine Arme und starrte Hippolit mit gerötetem Gesicht an. »So, wie Sie das jetzt sagen, Meister Hippolit, klingt es natürlich nicht sehr realistisch.« Er rang die Hände, eine Geste, die zugleich Entrüstung und Hilflosigkeit ausdrückte. »Trotzdem würde dieser Ablauf nicht nur den Abschiedsbrief erklären, sondern auch die von innen verriegelte Tür.«
    »Möglicherweise deutet die Signatur, die Sie an der Leiche festgestellt haben, auf eine vorangegangene medizinisch-thaumaturgische Behandlung hin«, mischte sich Oskulapius vom Sofa her ein. »Einer Behandlung, mit der Borkudd sein Schmerzempfinden weit genug reduzierte, dass er sich

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