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Der Schaedelschmied

Der Schaedelschmied

Titel: Der Schaedelschmied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lossau , Jens Schumacher
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hatte die ganze Zeit auf ihn gewartet.

9
     
     
    »Sag, was genau hast du eigentlich gegen diese Selbstmordtheorie, M.H.? Ich will dir nicht zu nahe treten, aber wir Trolle haben ein altes Sprichwort, und das geht so: Wenn einer kaputt aufgefunden wird, in einem von innen verschlossenen Raum, einen selbst geschriebenen Abschiedsbrief vor der Nase, dann sprechen gewisse Andeutungen zart dafür, dass er sich durchaus selbst das Licht ausgeblasen haben könnte. Ist natürlich nur ein Sprichwort …«
    Jorges Stimme drang gedämpft durch die angelehnte Verbindungstür. Obwohl es stockdunkel in beiden Kammern war, sah Hippolit ihn vor seinem inneren Auge deutlich vor sich, wie er nebenan auf dem Boden lag, unter sich zwei Matratzen, die er aus den viel zu kleinen Zwergenbetten gezerrt und der Länge nach zusammengeschoben hatte.
    Die Gästezimmer in der Pension Berglust waren nicht groß, aber komfortabel eingerichtet – zumindest nach den Maßstäben einer unterirdischen Arbeiterstadt. Sie lag in der Elften, nur eine Etage vom Klinikum und dem Forschungslabor entfernt, in einem Sektor Barlyns, der laut Präsident Wymmler zu den besseren der Stadt zählte. Sämtliche Räume waren an das Gasnetz angeschlossen und ausgestattet mit Schreibsekretär, Bett sowie einem Kleiderschrank mit eingebautem Stahltresor für Wertgegenstände. Von einer kurzen Schleuse, die Hippolits Kammer mit der seines Assistenten verband, ging eine schmale Tür in einen winzigen Waschraum ab, welcher mit einem Klosett sowie fließendem Wasser aufwarten konnte. Allein die niedrige Decke, an der sich Jorge gleich beim Einzug in seine Kammer donnernd den Schädel gestoßen hatte, erinnerte daran, dass man sich nicht in einer Pension im Herzen Nophelets befand, sondern in einer unterirdischen Anlage, errichtet von Kleinwüchsigen für Kleinwüchsige.
    »Liegt es vielleicht daran, dass die Theorie von diesem zugegebenermaßen nicht gerade sympathischen Kerl namens Oskulapius stammt?« Wieder Jorges Stimme, diesmal mit einem kaum verhohlenen neugierigen Unterton. »Ich weiß nicht, ob du es wusstest, aber unter meinesgleichen gelte ich als Troll mit ausgeprägtem Gespür für persönliche Befindlichkeiten und feine zwischenmenschliche Schwingungen. Und dieses Gespür sagt mir, dass zwischen euch irgendwas ist, das über kurz oder lang der Bereinigung bedarf. Und sei es durch ein paar verlässliche Trollfäuste.« Er lachte auffordernd. »Willst dus mir nicht erzählen, M.H.?«
    Hippolit schwieg, starrte mit zu Sicheln verengten Augen in die Finsternis.
    »M.H.? Schläfst du schon?«
    »Mitnichten. Ich denke nach.«
    »Ah. Klasse.« Jorge schwieg kurz. »Ich auch.«
    »Was du nicht sagst.«
    »Aber ja!« Ein raschelndes Geräusch, als Jorge sich in seinen Decken aufsetzte. »Ich habe mir da mal ein paar Gedanken über diese Selbstmordtheorie gemacht …«
    »Das erwähntest du bereits.« Hippolit gab sich keine Mühe, den Widerwillen in seiner Stimme zu verbergen. »Und ich habe dir meine Meinung dazu bereits mitgeteilt.«
    »Das hast du, bei Batardos! Und ich habe zur Abwechslung zugehört.« Ein schabender Laut, vermutlich Jorges künstliche Hand, die irgendeinen nicht mehr ganz makellos rasierten Teil seines Gesichts kratzte. »Du weißt, dass ich eigentlich recht oft deiner Meinung bin, M.H. Das hängt damit zusammen, dass du in bestimmten Belangen ein winziges Stückchen schlauer bist als ich. Beispielsweise in kriminologischen Dingen. Hauptsächlich in kriminologischen Dingen. Trotzdem glaube ich, dass du diesmal unter Umständen falschliegen könntest.«
    Hippolit seufzte matt. »Ach?«
    »Schau: Da ist ein Zwerg, der seit Jahren seine Untergebenen ausbeutet, bis sie reihenweise tot umfallen. Ich gebe zu, dass ich mich mit der Psyche dieser sonderbaren kleinen Kerle nicht besonders auskenne. Aber ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass sogar ein Scheusal wie dieser Schürfminister auf seine alten Tage irgendwann so was wie Schuldgefühle bekommen kann. Dass er begreift, was für ein Riesenarschloch er war. Verstehst du?«
    »Und?«
    »Könnte er in so einem Fall nicht wirklich aus freien Stücken beschlossen haben, sich das Lebenslicht auszupusten? Und zwar auf eine richtig krude Art und Weise, quasi um sich für all die Qualen zu bestrafen, die er über die Arbeiter in ihren finsteren Löchern gebracht hat?«
    Nichts folgte, und Hippolit machte in der Finsternis eine kurbelnde Handbewegung, um Jorge zum Fortfahren zu bewegen. Erst nach

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