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Der Schaedelschmied

Der Schaedelschmied

Titel: Der Schaedelschmied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lossau , Jens Schumacher
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spiegelblank poliertem Kristallglas verkleidet. Es schien sich um eine nahtlose, aus einem Stück gegossene Scheibe zu handeln, und sie reichte bis dicht unter das Kuppeldach empor. Auf das Glas war mit unnatürlich leuchtenden Farben ein komplexes Bild gezeichnet, eine auf den ersten Blick hoffnungslos chaotisch wirkende Ansammlung von Linien, Knoten und Kreuzungen. Hippolit begriff, dass es sich um eine Art Lageplan handeln musste, dessen Komplexität allerdings eher an das Nervensystem eines hoch entwickelten Organismus erinnerte als an eine kartographische Skizze realer Pfade. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte er, einer einzelnen Linie durch das Gewirr zu folgen – vergeblich!
    Noch sinnverwirrender wurde der Anblick durch eine zweite, absolut identische Wand aus Kristallglas, die sich vor der ersten erhob, knapp eine Handspanne entfernt, frei stehend in einem Sockel aus Gussstein. Über ihre Oberfläche zuckten in rasender Folge bunte Lichtreflexe. So unregelmäßig und gedankenschnell die Signale waren, Hippolit konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie allesamt exakt jenen verzweigten Linien folgten, die auf dem Lageplan dahinter zu erkennen waren. Ein durchdringender Geruch nach Ozon und kürzlich freigesetzter thaumaturgischer Energie hing in der Luft. Hippolit spürte, wie leichter Schwindel ihn überkam. Rasch wandte er den Blick von den monströsen Schirmen ab.
    »Sie bewundern unsere Kontrolleinheit, mein Bester?« Meister Everard hatte hinter dem metallenen Schreibtisch Platz genommen und deutete einladend auf einen von mehreren Besucherstühlen, die davorstanden. Hippolit folgte widerwillig und nahm Platz.
    »Das … diese Apparatur ist recht beeindruckend«, gab er zu, wobei er hoffte, dass ihm seine Verblüffung nicht allzu deutlich anzumerken war. »Verraten Sie mir, welchem Zweck sie dient?« Als er das selbstgefällige Grinsen auf dem Gesicht seines Gegenübers sah, fügte er hinzu: »Präsident Wymmler erwähnte, ein großer Teil der Versorgungs- und Lebenserhaltungssysteme Barlyns sei mechanischer Art, und dass Sie diese Komponenten von hier aus mithilfe von Thaumaturgie überwachen.«
    »Und er hat nicht gelogen.« Everard lächelte breit. »Dennoch ist das nur teilweise richtig, mein Bester.«
    Hippolit hob eine Braue. Die Selbstsicherheit des Mannes begann, ihm auf den Geist zu gehen.
    »Tatsächlich ermöglichen es mir die beiden Überwachungsschirme, die Sie hinter sich sehen, das komplexe Belüftungssystem unserer Stadt zu kontrollieren – in Echtzeit! Sie arbeiten nach dem kalomischen Prinzip.« Everard legte skeptisch den Kopfschief. »Sie wissen selbstredend, was es damit auf sich hat, mein Bester?«
    »Selbstredend.« Hippolit verschränkte demonstrativ die Arme. »Das kalomische Prinzip, entwickelt im vierten Jahrhundert des Zweiten Zyklus, verdankt seinen Namen der Küstenstadt Kalom, gelegen an der nordwestlichen Küste Ybraltars. Ein Bund außerordentlich fähiger Thaumaturgen, die sich selbst ›Phontozharier‹ nannten, nach Phontozhar, ihrem Anführer, forschte dort über Jahrzehnte an der visuellen Umsetzung einer thaumaturgischen Technik, welche Schiffen auf hoher See als Navigationshilfe diente. Dem sogenannten ›Leiter‹.«
    Meister Everard nickte gütig. »Die Phontos wollten die Richtungsanweisungen dieses Spruches, bis dato nur für den praktizierenden Thaumaturgen in Form eines sanften Ziehens im Gedärm wahrnehmbar, optisch sichtbar machen«, bestätigte er. »Zu diesem Zweck luden sie Kristallglasscheiben thaumaturgisch auf, wodurch …«
    »… wodurch sich diese Scheiben, fürderhin ›kalomische Scheiben‹ genannt, selbstständig in die Blickrichtung des Anwenders zu levitieren vermochten, wobei auf ihrer Oberfläche Navigationsanweisungen für den Weg durch den hinter dem Glas gelegenen Sichtbereich erschienen«, riss Hippolit das Wort wieder an sich. Everard sollte nicht auf den Gedanken kommen, seine Kenntnisse in thaumaturgischer Geschichte seien defizitär. »In den folgenden Jahrhunderten wurde das System weiter verfeinert. Heute wird es außer in der Nautik auch für Truppenbewegungen in unbekanntem Gebiet eingesetzt. Darüber hinaus erleichtern kalomische Scheiben die Zielfindung von Fahrzeugen in Großstädten.«
    Meister Everard lachte auf und klatschte in die Hände. »Vortrefflich, mein Bester! Mit dem winzigen Unterschied, dass die kleinen, frei levitierenden Scheiben, die Sie erwähnten, lediglich eine unbedeutende Vorstufe

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