Der Schaedelschmied
nicht versiert war, sich die Tatwaffen folglich nicht per Beschleuniger in den eigenen Schädel schießen konnte?«
Meister Everard richtete sich in seinem Lehnstuhl auf. In seinem Blick lag etwas Lauerndes. »Mir scheint, Sie denken die Sache nicht zu Ende, mein Bester: Borkudd saß in einer von innen verriegelten Kammer. Kein Thaumaturg unter Lorgons weitem Firmament, wie begabt auch immer, wäre in der Lage gewesen, ihn durch die massive Tür seines Büros oder gar durch viele Meilen dickes Felsgestein mit Stahlnägeln zu beschießen.« Er senkte die Lider und sah Hippolit aus halbgeschlossenen Augen an. »Ich dachte eigentlich, die Kriminologie sei eine strikt auf Logik basierende Disziplin. Da sollte man der wahrscheinlichsten Theorie die meiste Aufmerksamkeit entgegenbringen, nicht der irrealsten. Oder täusche ich mich, mein Bester?«
Um zu verhindern, dass er ausfällig wurde, wechselte Hippolit das Thema. »Meister Ruperths Frau hatte eine außereheliche Affäre, sagten Sie?«
»So ist es. Mit einem Zollbeamten niederen Ranges namens Byndlach. Ruperth hatte wohl schon länger eine Ahnung, aber erst vor zwei Tagen hat sie ihm offiziell verkündet, dass es aus ist.« Der Zwerg schielte demonstrativ zu einer Wasseruhr, die am entfernten Ende des Schreibtischs zwischen den Papieren aufragte. »Wenn es das dann gewesen wäre, mein Bester? Wie Sie wissen, macht Meister Ruperths Ausfall einige Änderungen in unseren Abläufen notwendig. Ich habe noch …«
»Natürlich.« Hippolit hatte sich bereits erhoben. »Ich danke Ihnen, dass Sie sich Zeit für mich genommen haben.«
»Das war doch selbstverständlich. Falls ich Ihnen im weiteren Verlauf der Ermittlungen irgendwie behilflich sein kann, lassen Sie es mich wissen.«
»Das werde ich tun, mein Bester«, erwiderte Hippolit, ignorierte die zum Abschied ausgestreckte Hand des Oberthaumaturgen und verließ mit pochender Schläfe das Büro.
13
Schon nach kurzer Zeit war Jorge klar, dass er und Glaxiko sich hoffnungslos verlaufen hatten. Es war eine idiotische Idee gewesen, ohne Hinreitz loszumarschieren, aber Jorges noch nicht vollständig überwundener Panikanfall im Fahrstuhl wirkte sich nachteilig auf seine Fähigkeit aus, weise Entscheidungen zu fällen. Zumindest redete er sich das ein.
Nicht eben angenehmer wurde die Sache dadurch, dass Glaxiko bei ihm war. Offen gestanden hatte Jorge gar nicht damit gerechnet, dass der alte Feigling sich tatsächlich mit auf eine Erkundungstour durch Unrat und Dunkelheit begeben würde.
Am allerdringendsten jedoch benötigte Jorge – das erkannte er, als er kurz in sich hineinhörte – Luft zum Atmen. Gleichzeitig spürte er, dass Panik und eingebildete Atemnot nachließen, sobald er sich bewegte. Also bewegte er sich: mit großen, ausladenden Schritten.
Die Abfallberge lagen nach wenigen Dutzend Schritten hinter ihm. Der Stollen – Jorge musste den Kopf einziehen, um nicht unentwegt gegen die unebene Decke zu stoßen – beschrieb eine Kurve. Dahinter erhellte der fahle Schein seiner Pechfackel eine Kreuzung, einen kreisrunden, roh behauenen Hohlraum, in dem fünf Gänge zusammentrafen. Ohne ein Wort an Glaxiko zu richten, der keuchend hinter ihm herstolperte, entschied sich Jorge für den mittleren. Kurz darauf kamen sie an eine weitere Verzweigung, diesmal mit drei unbeleuchteten Gängen.
Jorge spürte, wie seine Platzangst nur darauf lauerte, dass er stehen blieb. Also eilte er weiter. Ab und zu stieß er sich den Kopf oder schabte mit den Schultern an Felsgestein. Er schwitzte wie ein Krügerschwein am Spieß. Kein Zwerg begegnete ihm, die ganze Ebene lag da wie ausgestorben.
»Wissen Sie denn überhaupt, wohin Sie da rennen?«
Jorge ignorierte Glaxikos näselnde Stimme, eilte um eine weitere Kurve und erkannte im Licht seiner Fackel die nächste Kreuzung.
»Jetzt bleiben Sie doch mal stehen!« Glaxiko berührte Jorge von hinten am Arm. Jorge wirbelte so schnell herum, dass die Fackel in seiner Hand unbeabsichtigt gegen die Wand schlug. Funken stoben.
»Fass mich noch einmal an, Kleiner, und ich schwöre dir …«
Glaxiko wich zurück. Im flackernden Lichtschein sah sein Gesicht ungesund gelb und eingefallen aus. Er war über und über mit Staub bedeckt, hatte längst jeden Versuch aufgegeben, sich oder seine Uniform zu reinigen. Abwehrend hob er die Hände. »Schon gut, schon gut. Ich meine nur … es liegt doch auf der Hand, dass es hier unten für uns nichts zu entdecken gibt. Niemand streift
Weitere Kostenlose Bücher