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Der Schaedelschmied

Der Schaedelschmied

Titel: Der Schaedelschmied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lossau , Jens Schumacher
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vertraute. Eine Tragödie!
    Meile um Meile trottete Jorge an Glaxikos Seite durch finstere Gänge dahin. Um sich aufzumuntern, stellte er sich vor, er befände sich im Zwölffingerdarm des Berges. Doch der Gedanke tröstete ihn nur wenig. Die Müdigkeit machte ihm immer mehr zu schaffen. Außerdem bekam er Hunger. Und für ein Fässchen Bier hätte er gemordet.
    Wenigstens hielt Glaxiko sein dummes Maul.
    Schließlich gelangten sie in einen etwas besser ausgebauten Stollen von angenehmer Höhe. Zum ersten Mal, seit sie in den infernalischen Fahrstuhl gestiegen waren, konnte Jorge wieder gerade stehen. Sein Kreuz krachte, ein heißer Schmerz schoss von seinem Rückgrat in alle Richtungen, aber dann verspürte er Erleichterung. Glaxiko, wiewohl nur minimal kleiner als Jorge, hatte die ganze Zeit aufrecht gehen können, ohne sich auch nur seine absurde Frisur zu minieren; ein Umstand, den Jorge unter dem Punkt »Ungerechtigkeiten des Lebens« verbuchte.
    Knapp zwei Dutzend Meter weiter beschrieb der Stollen eine scharfe Biegung nach rechts. An der Stirnwand der Kurve steckte eine Pechfackel in einer Halterung.
    Sie brannte!
    Jorges Zuversicht wuchs. Mit einem Mal kam es ihm vor, als wehte ihm ein Hauch frischer Luft entgegen. Er nahm einen tiefen Zug. Die Luft schmeckte köstlich, wie eiskaltes Bier an einem heißen Sommertag in einem ungelüfteten Puff in Fogatts Pfuhl.
    »Ich hätte uns also herausgeführt«, tönte er über die Schulter in Glaxikos Richtung. »Ich wusste ja, auf meinen Riecher ist Ver …« Er verstummte abrupt.
    »Was ist los? Wieso sprechen Sie nicht weiter? Wir müssen …«
    »Still!«
    »Ich …«
    »Fresse halten, hab ich gesagt!« Jorge lauschte konzentriert in die erdrückende Stille. »Hörst du das?«
    Glaxiko, mittlerweile von Kopf bis Fuß grau, als habe ihn jemand mit Asche eingepudert, legte irritiert den Kopf schief. »Da ist ein Sirren«, stellte er fest und zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich stammt es vom Belüftungssystem, das die Luft hier herunter …«
    »Glaub ich nicht. Die Lüftung hat in den anderen Ebenen auch keine Geräusche gemacht. Und wieso wird es da vorne plötzlich so hell?«
    Ein Sonnenaufgang sah anders aus, aber Jorge war sich ganz sicher, dass Licht aus dem Gang hinter der Kurve drang. Und es wurde immer mehr. »Da kommt was«, flüsterte er.
    Was dann folgte, geschah rasend schnell. Eben noch hatte Jorge zu Boden gestarrt und verfolgt, wie die Schatten vor der Wandfackel auf dem unebenen Fels aufgrund der neuen, stärkeren Lichtquelle zerflossen. Dann, einen Wimpernschlag später, stand es plötzlich vor ihnen.
    »Bei Batardos!« Die Pechfackel entglitt Jorges kraftloser Hand und landete funkenstiebend auf dem Boden.
    Ganz in seiner Nähe begann eine Frau zu kreischen, eine junge, hysterische Frau, der ein perfider Thaumaturg einen Wehenbann angehext hatte. Jorge brauchte einen Moment, bis er begriff, dass es Glaxiko war, der neben ihm auf die Knie gesunken war und wie am Spieß brüllte, als habe ihm tatsächlich endlich jemand die Beine gebrochen.
    Schrecken ist eine exquisite Empfindung, hatte M.H. einmal gesagt. Er bewahrt die Lebenden davor, Dummheiten zu begehen und sich zur Unzeit in K’talmars finsterem Reich wiederzufinden. Aber es gibt auch kranke Geister, die nur etwas spüren, wenn sie sich unentwegt selbst an diese Grenze bringen. Sie sind süchtig nach Schock und Todesangst, um sich lebendig zu fühlen. Schrecken ist eine exquisite Empfindung.
    Weise gesprochen, fand Jorge und schluckte einen dicken Kloß, der sich in seinem Hals gebildet hatte. Aber der gute M. H. hatte bei seiner Ausführung eines außer Acht gelassen: Man konnte auch vor Schrecken erstarren! Gar nicht gut eingerichtet von Oberlenker Lorgon. Die reflexartige Lähmung eines Beutetiers bedeutete seinen Tod. Jorge wollte kein Beutetier sein.
    Glaxiko kreischte noch immer, keine Worte, nur einen einzigen, grellen Ton. Zusammen mit dem fremdartigen Sirren, das nach wie vor den Tunnel erfüllte, drohte es Jorge jeden Moment die Trommelfelle zu zerreißen.
    In der Biegung des Ganges, kaum einen Steinwurf von ihnen entfernt, kauerte ein Wesen, wie Jorge noch nie zuvor eines gesehen hatte – und er hatte schon verdammt viele Geschöpfe gesehen! Eine Kreatur, größer als Jorge, massiger, mit etlichen dünnen Armen, die zitternd und bebend durch die Luft zuckten. Die Erscheinung, über und über mit grauem Schleim überzogen, besaß keine sichtbaren Gehwerkzeuge, schien ihren

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