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Der Schatten des Chamaeleons

Titel: Der Schatten des Chamaeleons Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters Mechtild Sandberg-Ciletti
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bereit wäre, ihm ein bisschen Gesellschaft zu leisten. Er erzählte mir, dass er immer bei einer Sex-Hotline anruft, nur damit er mal ein bisschen reden kann, aber das sei nicht dasselbe wie eine richtige Frau, mit der man kuscheln kann.
    Walter ist ziemlich alt, da musste ich schon ein bisschen hinreden, um eines von den Mädchen dazu zu kriegen, dass sie zu ihm ging. Keine hatte viel Lust. Das Mädchen, das dann dort war, sagte, er habe nichts gemacht, er habe nur reden wollen
und hätte ihr hinterher dreißig Pfund gegeben. Danach waren sie alle mal dran. Ich bin selbst ein paar Mal hingegangen. Als eines von den Mädchen ihm eines Tages angeboten hat, ihm einen runterzuholen, hat er ihr hundert Pfund gegeben.
    Er hatte immer ein bisschen Angst, dass jemand beobachten könnte, wie wir zu ihm hineingehen. Er sagte, seiner Tochter würde das garantiert nicht gefallen, wenn sie davon erfahren würde. Wir sind immer von hinten ins Haus hinein. Er hat sich gefreut, uns zu sehen, er hat mir sogar die Geheimzahl von seiner Karte gegeben, damit ich abends immer was aus dem Automaten holen konnte, wenn er knapp bei Kasse war. Wir waren gute Kumpel, darum habe ich nie mehr genommen als ausgemacht. Ich habe ihm auch Zigaretten und Alkohol besorgt.
    Ungefähr vor einem Monat hat sich dann alles geändert. Walter sperrte auf einmal seine Hintertür ab und sagte, wir sollten abhauen. Die Mädchen waren ganz durcheinander, sie mochten Walter. Sie baten mich, ihn einmal in der Gainsborough Road abzupassen und zu fragen, was da schiefgelaufen wäre. Wir fingen an zu streiten, weil er behauptete, wir hätten ihn bestohlen. Ich sagte, das sei nicht wahr. Er sagte, seine Tochter sei dahintergekommen und wollte ihn in ein Pflegeheim stecken. Ich glaube, er war im Kopf nicht mehr ganz richtig. Er sagte, dass er niemanden mehr ins Haus lassen darf. Danach sind wir nicht mehr hingegangen.
    Am Freitag, dem 10. August, ging es mir morgens beim Aufwachen richtig mies. Mir war es schon ein paar Tage nicht gut gegangen, aber ich dachte, es wäre die Grippe. Ich hatte unten am Fluss übernachtet, und ich wusste, dass in der Gainsborough Road ein Drop-in-Center war. Ich beschloss, dorthin zu gehen und nach einem Arzt zu fragen. Eines der Mädchen sagte, sie würde mich begleiten. Wir mussten durch die Harris Street zum Center.
    Es war ungefähr elf Uhr, und es war kein Mensch auf der Straße. Wir sahen eine Frau aus einem Apartmenthaus kommen und am Bordstein stehen bleiben. Sie sah aus, als würde sie auf jemanden warten, der sie da abholen sollte. Sie war ungefähr einen Meter siebzig groß und dünn, aber ihr Gesicht konnten
wir nicht erkennen. Sie hatte eine Baseballmütze auf und hielt den Kopf gesenkt. Ich glaube, sie hatte blonde Haare. Sie hatte einen Matchbeutel dabei, und den habe ich ihr aus der Hand gerissen und bin dann die Straße hinuntergerannt. Das Mädchen, das mich begleitete, stieß die Frau um, damit sie uns nicht nachlaufen konnte.
    Ich weiß, dass es nicht in Ordnung ist, Leute zu bestehlen, aber wir hatten so was schon früher abgezogen. Es ist ein Kinderspiel, wenn niemand in der Nähe ist. Ich stopfte den Beutel unter meine Jacke und lief die West Street hinunter. Das Mädchen ist in der entgegengesetzten Richtung davongelaufen. Ich weiß nicht, ob die Frau geschrien hat. Von dem schnellen Rennen wurde mir schlecht, darum habe ich auf nichts anderes geachtet.
    Es war dumm, zu Walter Tuttings Haus zu laufen, aber er wohnt in einer Sackgasse, die von der Gainsborough Road abgeht. Ich dachte, da könnte ich ungestört nachschauen, was in dem Beutel war, bevor ich ins Drop-in-Center ging. Das Einzige, was sich halbwegs lohnte, war ein Nokia-Handy. Das habe ich in meinen Rucksack gesteckt und die restlichen Sachen im Beutel gelassen. Ich wollte ihn möglichst schnell loswerden, und Walter Tutting hat neben seiner Tür ein paar Blumentöpfe. Ich wollte den Beutel einfach hinter einen von ihnen quetschen.
    Aber gerade, als ich loslegte, kam er heim. Ich kniete auf dem Boden, und er haute mir die Tragtüte, die er dabeihatte, über den Kopf. Ich nahm sie ihm weg, und dann gab’s eine Rangelei. Ich sagte, er wäre senil, und da wurde er noch wütender. Er schob seinen Schlüssel in die Tür und sagte, er würde die Polizei rufen.
    Mir ging es inzwischen richtig dreckig, und ich weiß nicht genau, was dann passierte. Es kann sein, dass ich den Schlüssel herumgedreht und Walter in den Flur gestoßen habe. Wir waren beide

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