Der Schatten des Chamaeleons
saß Acland hinten in einem Wagen, der zur Polizeidienststelle Southwark East fuhr. Die beiden Beamten, die ihn begleiteten, erklärten ihm lediglich, dass er als Zeuge im Zusammenhang mit einem rechtswidrigen Angriff vernommen werden solle. Auf der Wache bekam er einen Trainingsanzug der Polizei und wurde aufgefordert, seine Kleider und Stiefel abzulegen, bevor er in einen Vernehmungsraum gebracht wurde, wo man ihn eine Stunde lang schmoren ließ.
Wenn das dazu dienen sollte, ihn unsicher zu machen, so wirkte es nicht. Acland war es gewöhnt, mit seinen Gedanken allein zu sein. Tatsächlich aber dachte er gar nicht viel nach, stellte nicht einmal Mutmaßungen darüber an, warum er hier war. Vielleicht lag es an Susans Käsebroten, vielleicht an der muffigen, warmen Luft im Zimmer, er döste jedenfalls immer wieder ein. Irgendwann hatte er keine Kraft mehr, und es ging ihm wie dem Autofahrer, der nach endlosen Stunden am Steuer vor Erschöpfung einfach einnickt.
In einem Dienstraum in der Nähe zog Superintendent Brian Jones sein Jackett aus und hängte es über eine Stuhllehne, während er Acland auf einem Fernsehschirm beobachtete. Er war ein untersetzter, energischer Mann Anfang fünfzig, den manche in seinem Team als tyrannisch empfanden.
»Verhält er sich schon die ganze Zeit so?«, fragte er, nachdem er sich gesetzt hatte.
»So ziemlich, ja«, sagte ein Beamter, der mit Acland im Auto gefahren war. »Er nickt kurz ein, dann fährt er hoch und starrt eine Zeitlang an die Decke. Genau so. Ob er irgendwas genommen hat, lässt sich nicht erkennen. Dr. Campbell, die Frau, mit der er gekommen ist, sagt, er sei seit vier Uhr mit ihr zusammen gewesen. Sie ist überzeugt, dass er in dieser Zeit nichts eingenommen hat. Er hatte auch nichts Entsprechendes bei sich, als wir ihn durchsucht haben.«
»Doktor in was?«
»Psychiaterin.«
»Haben Sie sie gefragt, ob sie ihn für vernehmungsfähig hält?«
»Ja. Sie sagt, er leidet an Migräne, aber sie glaubt nicht, dass er im Moment eine hat. Er hat sich im Taxi, mit dem sie hergefahren sind, anscheinend ganz locker mit ihr unterhalten.«
»Haben Sie ihr gesagt, warum er hier ist?«
»Nicht im Einzelnen. Ich habe nur gesagt, dass auf ihn die Beschreibung eines Mannes zutrifft, der in Verbindung mit einem rechtswidrigen Angriff gesucht wird.«
»Und?«
»Sie dachte, es handelt sich um die Sache gestern Abend im Pub.«
»Gut. Das denkt unser Freund da drinnen vielleicht auch.« Brian nahm einige Fotografien aus einem Hefter und suchte die Aufnahme eines alten Mannes heraus, der direkt in die Kamera blickte. »Ich würde das lieber ohne einen Anwalt erledigen, also behandeln wir ihn erst mal als Zeugen. Sie beide...«, er deutete auf den Mann, mit dem er gesprochen hatte, und einen anderen seiner Mitarbeiter, »... legen ihm das hier vor. Mal sehen, wie er reagiert. Wenn er auf einem Anwalt besteht, müssen wir ihn vielleicht vor der Befragung auf seine Rechte hinweisen - aber betonen Sie immer wieder, dass er nur als Zeuge gehört wird. Wir anderen schauen uns das hier am Bildschirm an.«
Acland blickte den beiden Beamten, die den Vernehmungsraum betraten, schweigend entgegen. Er nickte kurz, als sie sich vorstellten - Inspector Beale und Constable Khan -, blieb jedoch weiterhin völlig ruhig, die Hände lose gefaltet vor sich auf dem Tisch.
»Er ist sehr beherrscht«, bemerkte Jones, den Bildschirm im Auge. »Den meisten Leuten merkt man nach einer Stunde allein in einem Vernehmungsraum eine gewisse Nervosität an.«
Sie sahen, wie die beiden Beamten an der anderen Tischseite Platz nahmen, und hörten Beale um Entschuldigung dafür bitten, dass man Acland so lange hatte warten lassen, bevor er erklärte, dass in Zusammenhang mit einem Überfall Zeugen gesucht würden. »Wir sprechen mit jedem, der etwas beobachtet haben könnte«, sagte er und beugte sich vor, um Acland die Fotografie vorzulegen. »Erkennen Sie diesen Mann, Sir?«
Acland senkte den Blick zu dem Bild, blieb aber sonst völlig reglos. »Ja.«
»Können Sie mir sagen, woher Sie ihn kennen?«
»Wir hatten heute Morgen vor der Bank einen Zusammenstoß. Er war in der Schlange hinter mir und hat mir ein paar Mal den Finger in den Rücken gestoßen. Als ich ihm erklärte, dass ich mich nicht gern anfassen lasse, wurde er frech.«
»Haben Sie ihn geschlagen?«
»Nein. Ich habe seinen Arm festgehalten, damit er aufhört, und losgelassen, als er zurücktrat. Sagt er, ich hätte ihn
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