Der Schatten des Chamaeleons
versorgt.«
»Sie sind ein wahrer Held, Corporal.«
Chalky drängte Acland auf die Seite. »Ja, das Leben ist hart, junger Mann, und Streifen und Sternchen bedeuten gar nichts außerhalb der Armee. Das sollten Sie sich merken, je eher, desto besser.« Er nahm Acland die Tragtüte aus den Händen, knüpfte die Henkel wieder zusammen und schob sie hinten in den Kofferraum. »Da ist nichts drin, was einem kranken Jungen hilft.«
»Hatte er nicht einen Matchbeutel mit?«
Chalky hustete und spie Schleim auf den Boden. »Nicht dass ich wüsste.«
»Sicher?«
Etwas an Aclands Ton ärgerte ihn. »Wollen Sie behaupten, dass ich lüge? Nehmen Sie einfach den Rucksack und lassen Sie mich in Frieden.« Er klappte den Kofferraumdeckel zu. »Ich warte im Auto.«
Acland drückte auf die Fernbedienung, um die Türen zu verriegeln. »Sie warten schön da drüben auf der Mauer«, sagte er ohne Feindseligkeit. »Ich möchte meinen Seesack nämlich gern wiederhaben, wenn ich zurückkomme.«
Erst nach zwanzig Minuten kam Jackson in den Warteraum der Notaufnahme. Acland öffnete die Vordertasche des Rucksacks und zeigte ihr die elektronischen Geräte. »Wie geht es ihm?«
»Er wird’s überleben, aber er muss ein paar Tage bleiben.« Sie nahm den Stuhl neben Acland. »Wir haben zu der Adresse in Wolverhampton eine Telefonnummer gefunden, aber da meldet sich niemand. Haben Sie noch etwas aufgestöbert?«
Acland zog das Foto heraus. »Ich glaube, das ist seine Freundin.« Er drehte das Bild, zeigte ihr die Adresse und erklärte, warum er sie nicht für die ihrer Eltern hielt, sondern für die einer Freundin. »Es ist offensichtlich eine Privatanschrift, die Leute dort werden also das Mädchen kennen und wahrscheinlich Ben ebenfalls.«
»Ich prüfe das mal. Was ist mit den Handys? Was drauf?«
»Batterie leer. Beim BlackBerry auch.« Er hielt inne. »Es sind auch noch vier iPods und eine Digitalkamera da. Die Sachen sind vermutlich alle gestohlen.«
Jackson warf ihm einen amüsierten Blick zu. »Vermutlich? Todsicher. Sie haben Chalky hoffentlich nicht meinen Wagen überlassen. Der hat die Sitze raus, bevor Sie ›Ah‹ sagen können - ganz zu schweigen von CD-Player und Radio.«
»Er hockt auf einer Mauer und sucht Streit. Der Wodka tut ihm nicht gut.«
»Tja, der liebe Alkohol. Er trinkt wahrscheinlich gegen seine Depressionen an - das tun die meisten. Manchmal schläfert der Schnaps sie ein, manchmal macht er sie aggressiv. Woher hat er denn den Wodka?«
»Gestohlen, nehme ich an - oder er hat Ben für sich arbeiten lassen. Er hat sich eine Tüte mit Whisky und Zigaretten unter den Nagel gerissen, die der Junge mitgehabt hat.«
»Bezahlung für einen sicheren Schlafplatz«, stellte Jackson sachlich fest. »Das Leben auf der Straße ist gnadenlos. Was hat er Ihnen denn abgeluchst?«
»Nichts.«
Jackson schien erheitert. »Chalky ist ein Profi. Sie hätten wahrscheinlich morgen früh beim Aufwachen gemerkt, dass Ihr Bargeld weg ist.« Sie nahm die Handys aus der Rucksacktasche und öffnete ein Nokia-Gerät, um zu prüfen, ob die SIM-Karte da war. »Ich habe immer ein Cellboost in der Tasche. Wie steht Ihr Gewissen zu Verstößen gegen das Datenschutzgesetz? Wollen wir mal sehen, wie weit wir kommen?«
»Hat es keinen SIM-Lock?«
»Das werden wir erst wissen, wenn wir’s probieren.«
Mit Interesse bemerkte Acland, während er mit Jackson durch die Korridore ging, wie viele unfreundliche Reaktionen sie hervorzurufen schien. Dass er selbst Befremden erregte, war er inzwischen gewöhnt, aber es war etwas ganz Neues für ihn, dass ein anderer die abschätzigen Blicke auf sich zog. Selbst in den frühen Morgenstunden war in der Notaufnahme des St.-Thomas-Krankenhauses reger Betrieb, und er sah, wie die Leute die Stirn runzelten, wenn sie an ihnen vorüberging, wie sie sie unverhohlen anstarrten. In der langen Hose und der schwarzen Lederjacke wirkte sie von hinten so männlich, dass er sich fragte, ob nicht ein großer Teil der Reaktionen der Unsicherheit darüber entsprang, welchem Geschlecht sie zuzuordnen war.
Sie telefonierte im Gehen, ohne allem Anschein nach die ihr geltende Neugier zu bemerken. »Ich habe noch eine Adresse für Sie - 25 Melbury Gardens, WV6 0AA. Nein, leider keinen Namen. Das weiß ich nicht, aber ich bezweifle, dass es Angehörige sind. Vielleicht jemand, der seine Freundin kennt. Das ist richtig, ja. Kein Nachname, nur Hannah. Wenn ich den Rucksack im Büro hinterlege, sorgen Sie dann
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