Der Schatten des Chamaeleons
funktioniert es wieder«, sagte sie. »Es ist immer noch mit dem Betreiber verbunden. Ich nehme an, die Polizei hat das veranlasst, für den Fall, dass jemand versuchen sollte, es zu benutzen.«
»Der Kleine weiß garantiert nichts von einem Mord - wahrscheinlich weiß er nicht mal, wem er das Handy geklaut hat. Sie brauchen doch nicht zu sagen, wo Sie es gefunden haben.«
Jackson schüttelte den Kopf. »Leider doch.« Sie öffnete die Wagentür. »Der Lieutenant geht von hier aus seiner eigenen Wege. Wollen Sie das auch tun - oder kommen Sie mit? Vielleicht wissen Sie ja etwas, was Ben entlastet.«
Chalky winkte ab. »Was ich weiß, hab ich Ihnen schon gesagt. Ich kenn den Kleinen ja kaum. Hab ihm einen sicheren Schlafplatz gezeigt, und das war’s schon. Er ist vielleicht fünf oder sechs Mal gekommen.«
»Worüber haben Sie mit ihm geredet?«
»Ich - über gar nichts. Er hat von Musik gequatscht und irgendeinem Mädchen, das er scharf fand. Ich habe eigentlich nie richtig zugehört - hab ihn einfach quasseln lassen, bis er eingeschlafen ist.«
»Sie sagten, Sie hätten ihn vor einem Monat zum ersten Mal gesehen. Haben Sie eine Ahnung, wie lange er da schon in London lebte?«
»Nein.«
»Sie haben außerdem gesagt, Schwule hätten ihm nachgestellt. Wissen Sie, ob er vielleicht irgendwann mal mitgegangen ist? Kann es sein, dass er sich verkauft hat, wenn er Geld brauchte?«
Chalky spie angewidert aus, als wollte er kundtun, was er von Schwulen hielt. »Hab ihn nicht gefragt. Ich kann diese Schwuchteln nicht ab. Ich habe ihm nur gezeigt, wo er schlafen kann, ohne Angst haben zu müssen.«
»Und was würden Sie vermuten?«
»Kommt drauf an, worauf er steht. Schnaps ist billig - Heroin kommt teuer. Die meisten tun’s, wenn sie auf Drogen sind.« Er wollte gehen, aber plötzlich brach es heftig aus ihm heraus: »Es ist eine Schande !«, rief er laut. »Diese Schweine sind ja nicht nur hinter den Jungs her. Die Mädchen sind auch nicht sicher. Wenn Sie den Bullen was sagen wollen, dann sagen Sie ihnen das .«
»Gern«, antwortete Jackson ruhig, »aber von welchen Schweinen sprechen wir? Von Freiern oder von Dealern?«
»Von der ganzen Bagage. Die behandeln Ausreißer wie den letzten Dreck. Wenn sie sie nicht vögeln, machen sie sie heroinabhängig. Das müsste verboten sein.« Er spie noch einmal kräftig aus. »Sie können’s dem Kleinen nicht vorwerfen, wenn er auf die schiefe Bahn gerät. Anders können die doch gar nicht überleben.« Er nickte. »Bis dann.«
Jackson sah ihm nach. »Und Sie, kommen Sie mit?«, fragte sie Acland.
Er blickte Chalky noch einen Moment nach, dann öffnete er die hintere Tür und legte seinen Seesack in den Wagen. »Ja.«
Wenn sie geglaubt hatten, sie würden auf der Dienststelle mit Ungeduld erwartet, so erlebten sie eine Enttäuschung. Das Team, von dem Acland befragt worden war, hatte inzwischen Schluss gemacht, und der Constable, an den sie verwiesen wurden, schien über Walter Tutting und Kevin Atkins noch weniger zu wissen als sie. Jackson, die eigentlich längst wieder Dienst tun musste, wurde ärgerlich, als er ihren Erklärungsversuch unterbrach, indem er umständlich ein Formular herauszog und nach ihren Namen und Adressen fragte.
»Dafür habe ich keine Zeit«, sagte sie kurz. »Ich habe Bereitschaftsdienst. Wir müssen mit Superintendent Jones oder Inspector Beale sprechen. Dringend. Und Sie...«, sie musterte den Beamten mit zusammengekniffenen Augen, »wissen ganz genau, wer ich bin. Ihre Kollegin vorne am Eingang hat Ihnen meinen Namen genannt, als sie uns vorhin bei Ihnen angekündigt hat.«
Der Mann sah sie an, wie manche Leute in der Notaufnahme sie angesehen hatten, halb amüsiert, halb geringschätzig. »Ich brauche trotzdem Ihrer beider Personalien, Ms. Jackson.«
» Dr. Jackson. Und Lieutenant Acland«, sagte sie. » The Bell , Gainsborough Road. Ich garantiere Ihnen, dass der Superintendent es nicht übelnehmen wird, wenn Sie ihn wecken. Sagen Sie ihm einfach, dass wir Kevin Atkins’ Handy bei uns haben. Es war im Besitz eines obdachlosen Jungen, der ins St.-Thomas-Krankenhaus
eingeliefert wurde. Dasselbe Krankenhaus, in dem Walter Tutting liegt.«
Er trug ihre Namen und die Adresse ein. »Telefonnummer?«
»Herrgott noch mal!«, fuhr sie ihn ungeduldig an. »Rufen Sie einfach den Superintendent an.«
»Sobald ich mich vergewissert habe, dass das notwendig ist.«
»Dann versuchen Sie es bei Inspector Beale.«
»Da gilt das
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