Der Schatten des Chamaeleons
hätte töten wollen, hätte ich Ihnen das Genick gebrochen.«
»Warum erwähnen Sie dann überhaupt so etwas wie tödliche Schläge?«
»So wurde Kevin Atkins umgebracht.«
»Woher wissen Sie das?«
»Dr. Jackson hat seinen Namen im Krankenhauscomputer gegoogelt.«
Jones warf Jackson einen Blick zu, und diese nickte. »Haben Sie die Fälle in der Presse verfolgt, Charles?«
»Nein.«
»Aber Sie waren in London, als Kevin Atkins ermordet wurde. Sie haben den Fall mit Dr. Campbell erörtert.«
Vorsichtig hob Acland den Kopf. Er sah den Superintendent scharf an. »Wenn das stimmt, kann ich mich nicht daran erinnern. Ich weiß nur noch, dass ich mich die meiste Zeit in meinem
Zimmer verschanzt habe, damit sie nicht ständig irgendetwas mit mir erörterte . Sie hat geredet, nur um zu reden, und ich kann mich nicht entsinnen, dass sich das Zuhören gelohnt hätte.«
Jones, der selbst in den Genuss von Susan Campbells Vortrag über das Kurzzeitgedächtnis gekommen war, konnte Acland bis zu einem gewissen Grad verstehen. »Also, wer war dieser andere Mann im Hinterhof?«
»Fragen Sie Dr. Jackson. Sie hat mehr mit ihm gesprochen als ich.«
»Doktor?«
»Er nannte sich Chalky, behauptete, Mitte fünfzig zu sein, und sagte, er habe den Falklandkrieg als Corporal mitgemacht. So um die eins fünfundsiebzig, Haare und Bart dunkel und leicht ergraut, braune Jacke, hat gestunken wie ein Wiedehopf und sieht älter aus, als er ist. Er wollte nicht mit hierherkommen, aber ich denke, er ist auf der Straße ziemlich bekannt. Wenn stimmt, was er uns erzählt hat, hat er seit zwanzig Jahren kein festes Zuhause mehr.«
Der Falklandkrieg weckte Jones’ Interesse. »Sind Sie ihm schon vorher einmal begegnet?«, fragte er Acland.
»Einmal, ja. Ich habe eine Clique betrunkener Halbwüchsiger verscheucht, die ihn gequält haben, und ihm dann über das Gitter in den Hinterhof geholfen. Daher wusste ich überhaupt von dem Hof.«
»Was haben die Halbwüchsigen ihm denn getan?«
»Sie haben ihn getreten.«
»War der kranke Junge auch einer von ihnen?«
Acland zögerte. »Das weiß ich nicht. Ein Junge war dabei, der hat auf Chalky gepisst - aber ich habe sein Gesicht nicht gesehen. Er hatte eine Kapuzenjacke an. Die anderen waren Mädchen.«
»Ich glaube nicht, dass Chalky ihm heute Abend geholfen hätte, wenn er einer aus der Clique gewesen wäre«, bemerkte Jackson trocken. »Er hat mir erzählt, dass er Ben vor den Schwuchteln
schützen wollte. Ich soll Ihnen von ihm ausrichten, dass auf der Straße weder Jungs noch Mädchen sicher sind. Die Dealer machen sie drogenabhängig, und die Freier legen sie flach.«
»Erzählen Sie mir was Neues«, versetzte Jones ebenso trockenen Tons. »Hat dieser Chalky etwas gegen Schwule?«
Jackson wusste schon, worauf er hinauswollte. »So wie viele andere, Superintendent. Das bedeutet noch lange nicht, dass er ein Mörder ist.«
Jones wandte sich wieder Acland zu. »Wird er bestätigen, dass Sie sich nicht an dem Rucksack zu schaffen gemacht haben?«
»Das bezweifle ich.«
»Der Mann ist ein chronischer Trinker und keiner, der freiwillig Informationen herausrückt«, warf Jackson ein, als sie Jones’ Stirnrunzeln sah. »Er wird an einer ihm sehr dienlichen Gedächtnisstörung leiden - wenn Sie ihn überhaupt finden.«
»Wo haben Sie ihn zuletzt gesehen?«
»Vor dem St.-Thomas-Krankenhaus. Aber da wird er längst nicht mehr sein.«
»Dann wollen wir doch mal hören, was Sie zu folgender Frage zu sagen haben. War der Lieutenant Ihres Wissens irgendwann mit den Sachen des Jungen allein?«
Jackson sah Acland an, als bäte sie um Erlaubnis zu antworten. »Ja«, bekannte sie. »Er und Chalky waren eine Zeitlang allein auf dem Parkplatz. Ich war schon ins Krankenhaus vorausgegangen. Ich hatte den Lieutenant gebeten nachzusehen, ob der Rucksack irgendetwas enthielt, was uns helfen könnte, die Angehörigen des Jungen zu finden. Er brachte ihn mir ungefähr zwanzig Minuten später.«
»Und zeigte Ihnen das Handy?«
»Ja.«
»Warum haben Sie mir das nicht gleich erzählt?«
»Sie schienen sich ja einzig dafür zu interessieren, was in dem Hinterhof passiert war.« Jackson machte eine kleine Pause, um ihre Gedanken zu ordnen. »Hören Sie, ich glaube, mir entgeht da
etwas: Ich kann nicht verstehen, warum Sie unentwegt auf dieser Geschichte herumreiten. Was hätte Charles denn davon gehabt, wenn er dem Jungen Kevin Atkins’ Handy in den Rucksack geschoben hätte? Das ist doch Blödsinn -
Weitere Kostenlose Bücher