Der Schatten des Highlanders
zumindest vor dem 15. Jahrhundert ansiedeln. Vermutlich weißt du auch nichts Genaueres, oder?«
»Ich?«, fragte sie mit rauer Stimme. »Warum sollte ich?«
»Weil du hier neben mir stehst und nicht einmal merkst, dass dir die Tränen über die Wangen laufen - und ich versuche gerade so gentlemanlike wie möglich, diese Tatsache zu ignorieren.«
Sie fuhr sich mit dem Ärmel übers Gesicht. »Du hast eine überbordende Fantasie, Ian.«
»Nun, das hat nichts mit Fantasie zu tun, was ich da auf dem Platz sehe. Robert Cameron schlägt sich ausgezeichnet. Selbst Pat hat seine liebe Mühe, findest du nicht?«
Sie wandte sich wieder zum Turnierplatz und musste zugeben, dass Ian recht hatte. Vermutlich war das alles nichts gegen ihren Schwager, aber wenn sie mit Cameron die Klingen kreuzen müsste, würde sie sich ihm ohne zu zögern ergeben.
Allerdings kämpfte er jetzt gegen Patrick MacLeod, und das sollte selbst ihn ein wenig Kraft kosten. Und bald darauf legte er auch tatsächlich eine Kampfpause ein und sah zu ihr hin.
»Wasser«, forderte er, heftig schnaufend.
Ian blickte sie überrascht an. »Was, du willst ihm wirklich etwas geben?«
»Vielleicht zieht er ja zum Dank sein Hemd aus«, sagte sie, bevor sie sich eines Besseren besinnen konnte.
Ian sah sie an und musste lachen. »Sunny, schmachtest du diesen Burschen hier etwa an?«
Sie ließ ihn stehen, bevor sie antworten musste. Ian würde sicher umstandslos Cameron weitererzählen, was sie ihm gesagt hatte, daher hatte sie keine Eile, wieder zurückzukommen.
Sie trat in Ians Küche, aber dort traf sie nicht wie erwartet Ians hochschwangere Frau Jane an, die ihr einen Grund gegeben hätte, erst wieder zurück zum Turnierplatz zu gehen, wenn sie dazu bereit wäre. Sie füllte einen großen Krug mit kaltem Wasser und nahm vier Becher, dann ging sie wieder hinaus in den Garten.
Sie musste ihm seinen Becher drei Mal nachfüllen, bevor er ihr zum Dank zunickte.
»Und, wo bleibt die Belohnung?«, fragte Ian sanftmütig.
Cameron blinzelte überrascht. »Das hat sie doch sicher nicht ernst gemeint?«
Sunny hatte es wirklich nicht ernst gemeint, aber jetzt konnte sie es nicht lassen, ihn noch ein wenig zu piesacken.
»Aber ich könnte es sehr wohl ernst gemeint haben«, sagte sie. »Und immer noch ernst meinen.«
»Ich habe aber ein, zwei Narben ...«
»Ich etwa nicht?«, unterbrach ihn Patrick. Er zog sein Hemd aus und hängte es Sunny über die Schulter. »Gebt dem Mädchen die versprochene Belohnung und dann geht’s weiter. Ich bin noch nicht fertig mit Euch.«
Cameron sträubte sich. Sunny fragte sich, warum. Er hatte schließlich im mittelalterlichen Schottland kein Problem damit gehabt, sich vor ihr zum Baden auszuziehen. Allerdings hatte er damals den Körper eines mittelalterlichen Lairds gehabt, und dazu gehörten nun einmal auch Narben. Vielleicht dachte er, wenn sie ihn jetzt so sähe, wäre sie schockiert.
»Gestern Abend haben Sie ja auch Ihr Hemd ausgezogen«, erinnerte sie ihn.
»Er hat was?«, donnerte Patrick.
»Aber da war es ja dunkel«, sagte sie bedauernd.
Patrick stapfte wieder auf den Turnierplatz. »Cameron, bewegt Euren elenden Hintern und kämpft weiter. Ich muss Euch noch ein paar Benimmregeln beibringen.«
Cameron zerrte sich das Hemd über den Kopf. Er trat einen Schritt zu ihr und legte es ihr behutsam über die Schulter.
»Das zahle ich Euch heim, glaubt mir«, sagte er leise.
Leider konnte sie sich das nur zu gut vorstellen, und allmählich ging ihr auch auf, dass ihre Bitte, er möge sein Hemd auszuziehen, alles andere als eine gute Idee gewesen war. Der ganze Vormittag war keine gute Idee gewesen. Sie hatte darauf gehofft, nach einem kleinen Schlag mit dem Schwert würden schon ein paar alte Erinnerungen wieder nach oben kommen, wie Fettaugen auf einer Suppe. Stattdessen hatte er seinen Körper, wie er im Mittelalter gewesen war - seinen nackten Körper, wie er im Mittelalter gewesen war - ohne jedes Erinnerungs-Flashback präsentiert, denn sonst hätte er entweder in die Knie gehen oder in ihre Arme sinken müssen.
Jetzt fühlte sie sich noch elender.
»Penelope Ainsworth ist ein zänkisches Weib«, bemerkte Ian träge. »Er ist ein Narr, wenn er sie heiratet.«
»Hierzulande gibt es wohl keine Geheimnisse?«, murmelte sie.
»Nicht, wenn man Laird der benachbarten Burg ist und die Burschen unten im Pub meinen, man müsse verrückt sein, wenn man sich überhaupt südlich der Grenze nach einer Frau
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