Der Schatten des Highlanders
Moment nicht weiter darüber nachgedacht, aber jetzt fragte sie sich, was wohl dahinterstecken mochte. Cameron hatte ihr erklärt, dass er sich in einer Situation befand, aus der er nicht herauskönne - aber warum nicht? Wenn er Penelope nicht liebte, weshalb ließ er sie dann nicht einfach sitzen? Er hatte Sunny gesagt, es gebe einen zwingenden Grund, weshalb er die Verlobung mit Penelope nicht lösen könne — aber was um Himmels willen war dieser Grund? Gegenüber Gilly hatte Cameron die Pflicht gehabt, die Kinder seines Bruders aufzuziehen, doch im heutigen Großbritannien gab es doch keine derartigen Zwänge.
Und da war noch etwas, was sie sich nicht erklären konnte: Warum musste die Hochzeit so bald stattfinden? Sie hätte eigentlich gedacht, dass Penelope sie am liebsten so lange wie möglich hinausgezögert hätte, um bis dahin so oft wie möglich mit ihrem Foto in die Zeitungen zu kommen. War sie so sehr auf Camerons Geld angewiesen, oder gab es noch einen anderen Grund?
Was Sunny wusste, war, dass Cameron mit einigen Menschen zu tun hatte, die einen ziemlich unsympathischen
Eindruck machten. Sie hatte mehrere Fotos von Penelopes Bruder Nathan gesehen, und seine gefühllosen Augen hatten ihr einen kalten Schauder über den Rücken gejagt, obwohl es sich lediglich um Bilder gehandelt hatte. Wenn schon die Menschen, die Cameron eigentlich mit aller Herzlichkeit in ihre Familie hätten aufnehmen sollen, derart unangenehme Zeitgenossen zu sein schienen, mit wem mochte er sich dann noch alles abgeben?
Kein Wunder, dass er so froh gewesen war, in Sunnys Suite im Ritz einen Zufluchtsort gefunden zu haben.
Eine ganze Weile lang starrte sie auf all die Dinge, die auf dem Boden verstreut lagen, dann fuhr sie sich mit den Händen durchs Haar. Sie steckte die Karte mit Camerons Notiz ein und verstaute das Handy in der Jackentasche. Das Lavendelkissen legte sie auf den Stuhl und das Päckchen Tee auf den Tisch. Dann zog sie den Geldbeutel aus ihrer Tasche, warf einen Blick darauf und steckte ihn wieder ein.
Die Taxifahrt könnte sie davon locker bezahlen.
Sie stand in ihrer Luxussuite, umgeben von den Geschenken eines Mannes, der sie angefleht hatte, trotz allem zu bleiben, und fühlte sich elender als jemals zuvor. Wenigstens gab es in ihrem Leben Menschen, denen sie vertrauen konnte. Cameron dagegen hatte wahrscheinlich niemanden. Und er hatte jahrelang niemanden gekannt, mit dem er sein größtes Geheimnis hätte teilen können. Wenn sie jetzt ginge, dann würde ihm nicht einmal das noch bleiben. Kein Wunder also, dass er sie gebeten hatte, nicht fortzugehen.
Aber sie hatte das Gefühl, dass ihm auch darüber hinaus etwas an ihr lag.
Sie versuchte, an etwas anderes zu denken, griff nach ihrem Koffer und drehte sich um. Sie musste den Luxus hinter sich lassen, bevor sie es sich noch anders überlegte.
Sie musste gehen.
Sie musste einfach nur gehen.
24
Cameron saß im Salon des Stammsitzes von Penelope und Nathan und sah sicher zum hundertsten Mal an diesem Abend auf die Uhr. Und auch jetzt brachte es ihm ebenso wenig Erleichterung wie die vorherigen neunundneunzig Mal.
Es war fast 22 Uhr.
Wenn Sunnys Flug etwa um vier Uhr gegangen war, dann befand sie sich jetzt über Kanada. Ob sie wohl schlief? Oder weinte? Oder sich glücklich schätzte, ihn losgeworden zu sein?
Wegen Letzterem hätte er ihr keinen Vorwurf machen können.
Sie am Tag davor aus diesem Taxi aussteigen zu lassen, war das Schwierigste gewesen, was er je getan hatte. Er wäre ihr am liebsten ins Hotel gefolgt, hätte sie in die Arme genommen und von ihr verlangt, dass sie ihn nie wieder mit diesem falschen Lächeln ansehen dürfe, das sie für seinen Geschmack am Tag davor viel zu oft aufgesetzt hatte.
Aber er hatte es sein lassen, denn er hatte auf dieser schrecklichen Taxifahrt über die Wirklichkeit, in der er lebte, nachgedacht. Und diese Wirklichkeit war keine mittelalterliche Schlacht, wo er wusste, was er zu erwarten hatte, wo er die Kerle sehen konnte, die ihn direkt angriffen, und jene erahnen konnte, die sich hinter ihn stahlen. Das hier war die moderne Welt, wo er in einer Stadt mit Millionen anderer Menschen wohnte, in einer Stadt voller Autos und Ablenkungen und einem Leben, das ständig in Bewegung war. Er konnte kaum für seine eigene Sicherheit garantieren, noch viel weniger die Sicherheit von jemandem, der nicht ständig an seiner Seite war. Und er war sich noch nicht einmal sicher, ob er für
Sunnys Sicherheit
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