Der Schatten des Horus
hatte. Er starrte auf die Haut. Würde sich das Fleisch zusammenziehen und sich die Narbe von alleine schließen, ohne Spuren zu hinterlassen? Aufgeregt stammelte er die Formel, die Theodorakis bei Sid benutzt hatte. » Juf, chetem tju, scha en chasetek er seneferek! «
Nichts passierte. Birger Jacobsen war enttäuscht und befriedigt zugleich. Und gewarnt. Wie hatte er all die Jahre nur so blind sein können, die eindeutigen Anzeichen zu ignorieren? Theodorakis, ein einfacher neb in der Hierarchie des Kults, konnte etwas, was ihm nicht gelang. Aber mehr Wissen als ein Wesir hatte nur einer: Der Seth-Seher.
Eine Welle heißer Wut überspülte Birger Jacobsen. Sie würden es ihm büße n – alle!
13. Kapitel
Kairo, Khan al-Khalili, Montag, 15 . Oktober 2007, 1 0 Uh r 50
Staunend sahen sich Sid und Rascal im Fushawi, Kairos berühmtestem Kaffeehaus, um. Nach dem brodelnden Treiben im suq, dem Markt, hatte Sid so einen Ort nicht erwartet. Hier drin war es dunkel und kühl. An den Wänden hingen deckenhohe Ölgemälde in blattgoldbelegten Rahmen. Sie zeigten stolze Araber auf ihren Pferden, Edelmänner auf der Jagd und Soldaten mit blitzenden Säbeln. Von den Decken senkten sich überladene Kronleuchter zu den Gästen hinab, die zahlreichen Spiegel machten eine genaue Orientierung fast unmöglich. An kleinen runden Tischen hockten Araber wie aus dem Bilderbuch, in Kaftanen, die Köpfe mit weißen Tüchern umwickelt. Andere wirkten wie Beduinen auf ihrer Wüstenwanderung, mit Schals um den Hals und einer qualmenden Wasserpfeife vor sich auf dem Boden. Obwohl sich Sid wie ein Eindringling fühlte, sah sich niemand nach den Amerikanern um. Man schien hier an Touristen gewöhnt zu sein.
Rascal tippte Sid leicht auf die Schulter. »Da ist er!«, flüsterte sie ihm ins Ohr. Jetzt bemerkte Sid ihn auch. Vor einem bestimmt vier Meter hohen goldenen Spiegel saß Sinistre Faux und trank shai aus einem schmalen Glas. Mit seiner Melone, dem schwarzen Cape und der Zigarettenspitze passte er so perfekt in dieses Ambiente wie das verschnörkelte Sofa, auf dem er saß. Sid war erleichtert, dass der alte Mann gewartet hatte. Immerhin waren sie fast zwei Stunden zu spät gekommen. Nach einer ehrlichen Entschuldigung setzten sich Sid und Rascal zu ihm.
Faux schien nicht sauer zu sein. Im Gegenteil. Er machte nicht den Eindruck, als ob Zeit irgendeine Rolle für ihn spielte. »Du hast sicher ein paar Fragen, Sid«, begann er das Gespräch und saugte an seiner Zigarette. Mit dem Duft des Tabaks kehrte auch das beklemmende Gefühl zu Sid zurück. Er war kein Tourist, der gemütlich über den Basar in Kairo schlendern konnte. Es ging um sein Leben.
»Das kann man wohl sagen!«, antwortete er gereizter, als er beabsichtigt hatte. Trotzdem nickte Faux freundlich.
»Dann werde ich am besten mit dem Tag beginnen, an dem wir uns kennengelernt haben.« Der alte Mann legte die Zigarettenspitze aus der Hand und fuhr sich mit Daumen und Zeigefinger über den grauen Schnurrbart. »Schon viele Jahre habe ich auf dich gewarte t – auf den sa . Natürlich wusste ich nicht, wer in meinen Laden kommen würde.« Faux sah ihm direkt in die Augen. Die Schärfe seines Blicks ließ Sid bis ins Mark erzittern. »Ehrlich gesagt hatte ich mir den Auserwählten anders vorgestellt, ich hatte einfach nicht damit gerechnet, dass du so jung sein könntest. Deshalb wollte ich dir das Paket nicht aushändigen. Als du aber mit dem Buch aus dem Laden gerannt bist, wusste ich, wen ich da vor mir hatte.«
Sid stutzte. »Aber Sie haben mich doch verfolgt!«, antwortete er misstrauisch.
» Mais oui! Ich wollte dich vor den Kultanhängern warnen.« Faux’ Blick wanderte zu Rascal. »Dann kamst du mir in die Quere!«
Rascal sagte nichts. In Gedanken schien sie den Ablauf des geschilderten Tages noch einmal abzuspulen.
Sid hatte einen Kloß im Hals. Tausend Fragen stürmten auf ihn ein, tausend Gefühle, für die er dringend eine Erklärung brauchte, um nicht verrückt zu werden. »Die Siebte Straße West, wo ich Ihren Laden entdeckt habe, existiert überhaupt nich t …«
Faux lächelte sibyllinisch. »Sie ist nicht im Stadtplan verzeichnet, das ist richtig. Aber du hast sie trotzdem gefunden. Das Buch hat dich zu mir geführt. Es hat all die Jahre auf dich gewarte t – wie ich. Du sollst den Kampf gegen den Kult aufnehmen!«
Kampf, Kul t … Sid spürte, wie ihm diese Worte die Luft abschnürten. Er versuchte sich gegen die Tränen zu wehren, aber es nutzte
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