Der Schatten des Horus
wie ihn die Griechen später genannt haben, war nach seinem Vater Sneferu oder Snofru der zweite Pharao der 4 . Dynastie. Landläufig wird seine Regierungszeit mit 2620–2580 vor Christus angenommen, also vierzig Jahre.« Saladim blieb stehen und rieb sich die Nasenwurzel. »Herodot hingegen spricht von fünfzig Jahren, andere Quellen nennen dreiundzwanzig oder dreiundsechzig. Das zeigt schon eines: Über Chufu und seine Taten gibt es kaum verbürgte historische Informationen. Keine Texte, keine Standbilder, keine Quellen aus späterer Zeit, die ihn beschreiben. Als hätte ihn jemand bewusst aus der ägyptischen Geschichte ausradiert.«
Rascal stieß enttäuscht die Luft aus. »Dann haben Sie als o … nicht ganz die Wahrheit gesagt. Mehrere Bücher lassen sich mit Ihrem Wissen wohl nicht füllen.«
Wenn Saladim die Schärfe des Einwands beleidigte, so ließ er sich nichts anmerken. »Ja und nein«, erwiderte er scheinbar gelassen. »Über den Pharao kann ich wirklich kaum mehr sagen, weil es nicht viel mehr zu sagen gibt. Wenn man aber über das Bauwerk sprechen möchte, das seinen Namen trägt, kann es kein Ende geben.«
Sid verzog das Gesicht. »Wie meinen Sie das?«
Der Professor blieb stehen und fuhr mit dem Finger in der Luft die Konturen der Pyramide nach. »Auch hier gilt die alte Weisheit, je mehr ich lerne, desto mehr bemerke ich, was ich alles nicht weiß! Die Präzision des Bauwerks und die Genauigkeit seiner Ausrichtung haben eine Unmenge von Spekulationen heraufbeschworen. Jede Maßzahl, die irgendwo an oder in der Pyramide vorkommt, ist von Wissenschaftlern oder Esoterikern so lange untersucht, geteilt und verdoppelt worden, bis sie auf ein sensationelles Ergebnis gestoßen sind!« Das Wort sensationell belegte er mit beißendem Spott.
Yusuf grinste. »Die Höhe der Pyramide in Ellen mal dem Doppelten ihrer Seitenlänge in Inch durch den Inhalt der Fläche eines ihrer Dreiecke ergibt mein Geburtsjah r – Cheops war ein Genie!«
Lachend setzten sie ihren Weg fort. Sid konnte deutlich diese Pseudowissenschaftler vor sich sehen, wie sie die Zahlen so lange hin und her schoben, bis sie das gewünschte Resultat erhielten. Und trotzdem. Er fühlte, dass nicht für jedes Rätsel um die Pyramide eine banale Erklärung zu finden war. Und dass sie nur gebaut worden war, um einen Pharao zu begraben, hatte er sowieso noch nie geglaubt. Der Großvater hat von einem König leider rein gar nichts in sich . Nagys Nachricht an Pulitzer spukte Sid durch den Kopf. Was hatte er damit gemeint? Und wie sollte ihm dieser Satz helfen, die Mumie zu finden und zu zerstören?
Plötzlich riss ihn ein Klopfen auf der Schulter aus seinen Gedanken. Rascal, dachte er, aber hinter ihm stand ein Beduine mit sonnengegerbtem Gesicht. Beschwörend legte der Mann den Zeigefinger an die aufgesprungenen Lippen.
» Sahib! Wanna buy real antique? «, flüsterte er und blickte sich um. Dann zog er einen in Packpapier eingewickelten Gegenstand unter seinem Kaftan hervor. » Real antique! «, gurrte er. » Only fivehundred dollar! « Sid zuckte zusammen. Rascal hatte ihm vorgelesen, dass den als zahlungskräftig bekannten Touristen häufig echte Altertümer angeboten wurden. Wer aber dabei erwischt wurde, Antiquitäten zu kaufen, musste mit einer hohen Strafe rechnen. So neugierig er auch war, Sid schüttelte den Kopf.
» Sahib, have a look! Only onehundred dollar! « Auch wenn der Preis astronomisch abgestürzt war, klang die Stimme plötzlich aggressiv. Die schwarzen Augen des Beduinen blitzten scharf, er lutschte an einem abstehenden Schneidezahn herum. » It’s forrr you! «
Sid sah sich Hilfe suchend um. Saladim, Rascal und Yusuf gingen an der Nordseite der Pyramide entlang, sie schienen seine Abwesenheit noch gar nicht bemerkt zu haben. Er könnte sie rufen, abe r … Sid beschloss, die Flucht nach vorne anzutreten.
» Okay, show me! «, antwortete er knapp.
Der Beduine klopfte Sid auf den Rücken und lachte, sein äußerst lückenhaftes Gebiss kam zum Vorschein. » Good, Sahib, good! « Er ging in die Hocke. Dann wickelte er den Schatz aus. Sid vergaß für einen Augenblick zu atmen. Die »echte Antiquität« war eine schlechte Kopie der Cheopsfigur aus dem Museum. Wie Elfenbein sah das nicht aus, eher wie Gips.
»Ich gebe dir fünf Dollar, okay?«, schlug Sid vor. Er fürchtete, den Mann sonst nicht mehr loszuwerden. »Damit bist du noch bestens bedient!« Natürlich stimmte der Nepper sofort zu, schließlich wusste selbst
Weitere Kostenlose Bücher