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Der Schatten des Schwans

Der Schatten des Schwans

Titel: Der Schatten des Schwans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Eierköpfe aber nicht sehen«, sagte Frentzel. Berndorf schaute fragend auf. »Dass Sie sich zu mir setzen«, erläuterte Frentzel. »Wir sind nämlich im Stand der Ungnade.« Dann erzählte er, dass das Innenministerium sich beschwert habe, wegen des Artikels über den Spitzel im Büchsenstadel, und dass die Lokalredaktion morgen zur Wiedergutmachung ein Interview mit Blocher bringe.
    Das wird den aber blähen, dachte Berndorf. In diesen unterwürfigen Zeiten war es offenbar völlig sinnlos, die Leute vor einer Blamage bewahren zu wollen. »Ihre Chefredaktion ist also eingeknickt?«, fragte er nach.
    »Das tut sie immer«, antwortete Frentzel. »Ich wüsste nicht, wozu sie sonst da wäre.«

    Nach einer Pause wollte er wissen, ob ihm Berndorf etwas über den merkwürdigen Blausteiner Toten sagen könne, nur so im Vertrauen und um einem alten geprügelten Gerichtsreporter einen Stein in den Garten zu werfen, sozusagen einen Stein aus dem Steinbruch.
    »Bin nicht im Dienst«, sagte Berndorf. »Übrigens ist der Tote nicht merkwürdig. Er hat niemanden besucht, niemand hat ihn gesehen, niemand seinen Wagen. Auf den Aufruf im Polizeibericht hat sich jedenfalls bisher niemand bei uns gemeldet. Aber vielleicht lesen die Leute das Tagblatt gar nicht mehr. Der Mann ist nach Ulm gefahren, um hier zu sterben. Was soll daran merkwürdig sein? Vielleicht hat er es mit Neapel verwechselt.« Frentzel sah ihn zweifelnd an. »Das ist aber ein kleiner Stein, den Sie mir da rüberreichen.«
    »Sie sollten den geschenkten Stein nicht auf die Goldwaage legen«, sagte Berndorf mild und zahlte. »Übrigens: Wenn Sie schreiben, dass es vielleicht doch ein Suizid war, wäre es ein Gefallen, den Sie mir tun. Der Mann war Ingenieur gewesen, hatte nach der Wende zuerst den Arbeitsplatz und dann die Frau verloren, kann man ja verstehen, dass ihm das Leben nicht mehr so besonders gefallen hat.«
    Sein Heimweg führte ihn an der spätgotischen Georgskirche vorbei über den Alten Friedhof. Durch die kahlen Zweige der Bäume schien fahl ein halber abgegriffener Mond auf die Gräber der Honoratioren aus dem vorigen Jahrhundert. Eines der Grabmäler, einem großen Eisernen Kreuz nachgebildet, war zum Gedächtnis des katholischen Militärdekans Fortunat Fauler errichtet worden, 1775 geboren und 1827 eines kaum glücklichen Todes gestorben. Das Schicksal und die Paten, von denen er zur Taufe gehoben worden war, hatten sich mit dem armen Fortunat einen schlechten Witz geleistet.
    Manchmal dachte Berndorf daran, dass er im Ruhestand versuchen würde, etwas über diesen Dekan herauszufinden und darüber, wie so jemand mitzuhelfen hatte, dass schwäbische Bauernbuben zu Soldaten abgerichtet werden konnten.
    Schließlich ging er weiter. Nach der Unterführung unter der Donaubahn wandte er sich nach links, ging eine steile Straße hoch und kam so zu dem Appartementblock, in dem er seit einigen Jahren wohnte.
    In der kleinen Diele zog er die Schuhe aus und zögerte kurz. Eigentlich hätte er sich ein Abendbrot machen sollen. Aber er hatte keinen Hunger, oder war vielleicht auch einfach zu träge. Er ging in sein dunkles Wohnzimmer und knipste die Stehleuchte neben der Tür an. Deckenlampen waren ihm verhasst. Die Lampe warf einen scharf begrenzten Lichtkreis auf den Parkettboden. Die wandhohen Bücherregale blieben im Halbdunkel. Auf dem Schachtisch zwischen den beiden Ledersesseln war der Endstand der Partie aufgestellt, die Kasparow gegen das Elektronengehirn Deep Blue verloren hatte.
    Berndorf ging zu seiner Stereoanlage und legte eine CD mit Tangos der Arminda Canteros auf. Die Akkorde glitten durch die Dunkelheit. Berndorf blieb vor der Bücherwand stehen, die eine ganze Seite des Zimmers einnahm.
    Kurz überlegte er, ob er in New Haven anrufen sollte. Es musste dort früher Nachmittag sein. Aber mit Sicherheit war die Professorin Barbara Stein jetzt nicht in ihrem Appartement auf dem Campus von Yale, sondern arbeitete in der Bibliothek oder in einem Archiv. Oder sie hatte einen Gesprächstermin mit einem alten Gewerkschaftsfunktionär oder sonst einem politischen Drahtzieher.
    Er warf einen Blick auf das Bücherregal. In einem halb gefüllten Fach hatte er das Bild aufgestellt. Berndorf griff sich mit der Rechten drei Romane heraus und legte sie zur Seite. Noch immer war nichts zu sehen. Er nahm noch einmal eine Handbreit heraus, bis das gerahmte Foto auftauchte. Es zeigte das Gesicht einer Frau mit aufmerksamen und forschenden Augen. Ihr dunkles Haar

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