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Der Schatten des Schwans

Der Schatten des Schwans

Titel: Der Schatten des Schwans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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trug sie gescheitelt und ihr Mund deutete ein Lächeln an, skeptisch und ein ganz klein wenig auch lockend. Als er die Bücher neben dem Bild wieder einräumte,
hätte er beinahe die Hand voll Glauser-Romane vor die kleinformatigen Bände von Robert Gernhardt gestellt.
    Er beschloss, nicht an Barbara zu denken, und schenkte sich einen Whisky aus der Flasche ein, die neben dem Schachbrett stand. Kasparow hatte gegen den Computer verloren, obwohl er durch Ewiges Schach ein Remis hätte erzwingen können. Kasparow hatte diesen Ausweg nicht etwa übersehen. Es war schlimmer. Er hatte nicht daran geglaubt. Er war der Überzeugung gewesen, das Ewige Schach könne keines sein, weil der Computer sich sonst nicht darauf eingelassen hätte.
    Kasparow hat verloren, dachte Berndorf, weil er nicht an sich, sondern an den Computer geglaubt hat. Geschieht ihm recht. Mit seinem Glas Whisky ging er zum Fenster und sah in die Dunkelheit hinaus. Tief unter ihm lagen die Bahngleise. Weit dahinter ahnte man den nächtlichen Lichtschein, der über der Innenstadt lag.
    Ein Tango von Astor Piazzolla schaukelte sich hoch. Berndorf verscheuchte seine trüben Gedanken und träumte sich fort aus dem rechtschaffenen und schwäbischen Ulm. Er sah sich in einer rauchverhangenen Bar, mit dunkler Täfelung und schwarzem Leder und mit Spiegeln, in denen sich das Licht verlor. Und mit Barbara, die neben ihm an der Theke stand und die ihre Schulter gegen die seine lehnte. Mud in your eyes.
    Ach nein, dachte er und trank einen Schluck Whisky. Nie wieder Casablanca. Er setzte das Glas ab und beschloss, sich wenigstens ein Käsebrot zu machen.
    Auf dem Schreibtisch neben ihm summte das Telefon. Berndorf nahm den Hörer ab: »Ja?«
    »Du bist also doch da!« Hell und klar und nahe drang Barbaras Stimme an sein Ohr. Berndorfs Herz schlug bis zum Hals.
    »Ich hab’ mir keine Chance gegeben«, sagte er mit belegter Stimme. »Sonst hätt’ ich es selbst schon versucht.«

    »Du hättest mich auch nicht erreicht. Ich war downtown.« Barbara hatte sich zum Lunch mit einem jungen demokratischen Kongressabgeordneten von Connecticut getroffen. »Sehr wach. Sehr professionell. Sehr misstrauisch. Und überhaupt nicht bereit, seinen finanziellen Hintergrund offen zu legen.« Dann wollte sie wissen, warum sie am Sonntag nur ins Leere geklingelt hatte: »Ihr solltet euren Mördern endlich einmal beibringen, wenigstens die Fünf-Tage-Woche zu respektieren.«
    »Ein Toter in einem Steinbruch, voll gepumpt mit Pharmazeutika«, sagte Berndorf. »Er war 52 Jahre alt, ein Ostdeutscher aus Görlitz. Hat bei den Bahnwerken dort gearbeitet, dann kam die Wende, er stand auf der Straße und die Frau ist ihm davongelaufen.«
    »Klingt nach einem traurigen Leben«, meinte Barbara.
    »Glückskinder findest du in den Leichenschauhäusern eher selten oder nie.«
    »Und was ist das Problem, das du dabei hast?«
    »Das dauert etwas«, sagte Berndorf. »Ich ruf dich zurück.« Barbaras Telefonrechnung – ihr Sohn studierte in Hamburg – war auch so hoch genug. Er hatte die Rufnummer ihres Appartements auf dem Campus in der Kurzwahl gespeichert. Während er dem fernen Klicken im Hörer nachlauschte, stellte er sich Telefonsatelliten vor, »dem Vollmond knapp am Arsch vorbei«. Dann hörte er wieder ihre nahe Stimme.
    »Du hast mich nach meinem Problem gefragt«, sagte er. »Also: Es sah nach einem Selbstmord aus. Genauer: Es sollte danach aussehen. Der Tote war tagelang unter Beruhigungsmittel gesetzt worden. Bis er seine letale Dosis bekam. Siehst du die Schwierigkeit?«
    »Eigentlich nicht«, sagte Barbara. »Deine Mörder sind Leute vom Fach. Warum machst du keine Hausdurchsuchung in eurem Universitätsklinikum?«
    Berndorf lachte. Der Gedanke hatte etwas für sich. »Bei deinem nächsten Besuch führ’ ich dich da mal durch. Du hast
keine Vorstellung, was das für ein Betrieb geworden ist. Außerdem haben sie ihren eigenen Müllofen.«
    »Du meinst, sie hätten den Toten selbst entsorgen können und keinen Steinbruch dazu gebraucht?«
    »So ungefähr. Im Ernst: Ich hab’ den ganzen Tag damit verbracht, nach irgendeinem Hinweis auf den Toten suchen zu lassen. Ohne jedes Ergebnis. Er war in keinem Hotel abgestiegen, in keiner Pension, und er war – auch danach haben wir gefragt – kein Patient der Universitätsklinik oder der anderen Krankenhäuser. Kein Tankwart erinnert sich an ihn oder an seinen Wagen. Toyotas mit Ostkennzeichen sind ja nicht mehr so selten.«
    »Deine

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