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Der Schatten des Schwans

Der Schatten des Schwans

Titel: Der Schatten des Schwans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Berndorf für einen Augenblick den Atem.
    »Du hast mal wieder eine Kiste mit einer anderen am Hals«, stellte er fest, als er wieder reden konnte.
    »Ja. Nein. Eigentlich ist es schon vorbei. Aber Lisa glaubt es nicht.«
    Berndorf sagte nichts. Allein zu leben hat schon seine Vorteile, dachte er. Aber wieso eigentlich? Wenn er mit Barbara zusammen wäre, hätte er solche Geschichten nicht. Aber das war schon immer Kastners Problem gewesen. Die Frauen flogen auf ihn, wie die Flöhe auf einen Diensthund.
    Kastner zog die beiden Laufwerke der Schachuhr auf und stellte die Zeiger. »Was ist eigentlich mit euch?«, fragte er beiläufig. »Noch immer die unverbrüchliche Liebe aus der Ferne?«
    »Sehr aus der Ferne gerade«, antwortete Berndorf. »Barbara ist in den USA, ein Forschungsprojekt.«
    Kastner schüttelte den Kopf. »Wie lange kennt ihr euch schon?«

    »28 Jahre und 3 Monate«, sagte Berndorf, ohne weiter nachzudenken. »Fang schon an.«
    »Ihr solltet euch mal fürs Guinness-Buch der Rekorde melden«, meinte Kastner, eröffnete mit dem Damenbauern und setzte mit einem lässigen Tippen die Schachuhr in Gang.
    Blitzschach nach einem schweren Tag und Zwetschgenwasser dazu sind eine mörderische Kombination. Nach dem dritten Einbruch in der dritten Partie hatte Berndorf genug. Morgen würde er noch mit dem Anstaltspsychologen reden und dann nach Ulm zurückfahren. Und Kastner musste morgen für seinen großen Auftritt fit sein. Dass ein verurteilter Mörder den Knast als seinen eigenen Handwerksbetrieb organisiert und schließlich mit seinem Gewinnanteil das Weite sucht, war ja wohl eine Geschichte zumindest auch für die »Landesschau«. »Na ja«, meinte Kastner, »sie werden es klein spielen. Es ist für das Justizministerium denn doch zu peinlich. Und überhaupt: 300 000 Mark! Das ist doch gar nix. In Stuttgart haben sie den Schlauff aus Saulgau zum Staatssekretär im Innenministerium gemacht, aus dem einzigen kühlen Grunde, weil zu wenig Kabinettsmitglieder aus Südwürttemberg in der Regierung sind. Der Schlauff kostet – Sekretärin, Referent, Fahrer, Büro eingerechnet – im Jahr ein Mehrfaches von dem, was dein Thalmann und seine beiden Helfer zur Seite geschafft haben. Und die haben wenigstens richtige Arbeit dafür geliefert.«
    Schlauff und Kastner hatten, wie Berndorf wusste, dem gleichen Ausbildungsjahrgang angehört. Aber dann war Schlauff in die Politik gegangen und Kastner nach Ravensburg.
     
    Der Kellnerknabe brachte zwei Tassen Espresso und zwei eisgekühlte Tequilas. Verwundert stellte Tamar fest, dass sie die gefüllten Maisfladen samt und sonders aufgegessen hatte. Wieso bin ich so verfressen, überlegte sie. Und irgendwann hatte sie nun doch die Geschichte von dem Onkel und den
beiden Neffen erzählt; Hannah war jemand, der zuhören konnte. Eine, die es verstand, dass man von einer solchen Geschichte reden musste, weil man sie nicht aus dem Kopf brachte.
    »Aber meistens ist es nicht schrecklich, sondern nur noch ätzend«, fuhr sie fort. Sie fühlte sich wohlig und fest entschlossen, nun auch einmal von sich zu reden. »Du stellst dir nicht vor, was für stumpfsinnige Rituale diese alten Männer in ihren Dienstbesprechungen zelebrieren. Manchmal denke ich sogar, wenn ich das alles gewusst hätte, wäre ich laut schreiend aus der Polizeifachhochschule weggelaufen. Und wenn ich hätte Lehrerin werden müssen.«
    Entschlossen kippte sie den Tequila. Vermutlich glühte ihr der Kopf. Hannah fragte nach Tamars Chef. »Der geht ja noch«, antwortete sie. »Manchmal blickt er sogar etwas. Aber ich glaube, dass er irgendwann einen Humphrey-Bogart-Film zu viel gesehen hat.«
    Verblüfft stellte sie fest, dass sie merkwürdig perlenden Unsinn redete. In Wahrheit waren der Neue Bau mit seinem Kriminalrat Englin und dem melancholischen Berndorf fern und unwichtig. Alles, worauf es ankam, war hier, in dieser schummrigen Eckkneipe, auch wenn die Dinge dabei auf merkwürdige und leichtfüßige Weise ins Flirren gerieten. Vielleicht kommt es vom mexikanischen Essen, von Tapas und Chili und Tequila. Aber wieso eigentlich hatte sie sich, als sie auf der Toilette war, das hoch gesteckte Haar gelöst?
    Dann wollte sie etwas über Hannah und ihre Arbeit in der Galerie wissen. Waren die Bilder von ihr? »Nein«, sagte Hannah, »wo denkst du hin!« Die Bilder und die Plastiken seien die Arbeiten zweier Absolventinnen der Kunstakademie, und beide hätten auch schon mehrere Ausstellungen gehabt. »Ich finde

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