Der Schatten des Schwans
auf Kassette zu diktieren. Wenn die Staatsanwaltschaft die sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen zu ignorieren beabsichtigte, war das nicht sein Problem.
Das Telefon klingelte. Er nahm auf, und es meldete sich Berndorf.
»Wo stecken Sie denn? Sie haben eine recht aufschlussreiche Zusammenkunft versäumt.«
»Da hätte ich kaum teilnehmen können. Sie vergessen, dass die mich suspendiert haben. Können Sie mir schon sagen, was die Autopsie erbracht hat?«
»Positiv«, sagte Kovacz. »Die DNS-Analyse der Proben Hendriksen und Tiefenbach ergeben eine Übereinstimmung, wie dies nur bei einem Verwandtschaftsgrad erster Ordnung möglich ist. Der Mann, der als Hendriksen bestattet wurde, ist der Vater von Tiefenbach. Außerdem ist dieser Mann 1945 nicht bei einem Tieffliegerangriff umgekommen. Er ist mit einer Pistole erschossen worden.«
Berndorf schwieg. Hendriksen hatte also nicht einfach nur Twienholts Namen gestohlen. Er hatte den kleinen malariakranken Leutnant Twienholt vorher umgebracht. Vielleicht waren sie wirklich in einen Tieffliegerangriff geraten. Vielleicht war der Wagen zu Schrott geschossen worden. Hendriksen konnte nicht mehr entkommen. Und so hatte er sich eine neue Identität besorgt.
Dann wollte Berndorf wissen, wie Kovacz zu seiner Schlussfolgerung gekommen war. »Aber die Staatsanwaltschaft hat das alles nicht beeindruckt«, schloss der Gerichtsmediziner seinen Bericht. »Müller-Köpf wird das Ermittlungsverfahren einstellen. Es bestehe kein hinreichender Tatverdacht. Was ist das eigentlich für ein Rauschen in der Leitung?«
»Ich rufe von Tel Aviv aus an«, sagte Berndorf. »Macht es Ihnen etwas aus, das Autopsie-Ergebnis gegenüber Professor Rabinovitch zu wiederholen? Er ist Kriminologe an der Universität Tel Aviv und sitzt hier neben mir.«
Kovacz zögerte. »Das ist etwas sehr außerhalb des Dienstweges. Und mir ist nicht ganz klar, worauf Sie hinauswollen.«
»Das Ergebnis nach dem Dienstweg von Müller-Köpf kennen Sie ja«, antwortete Berndorf, »Sie haben es mir gerade selbst mitgeteilt. Ich glaube nicht, dass Sie damit zufrieden sind.«
Kovacz schwieg. »Na gut«, sagte er schließlich, »geben Sie mir Ihren Rabbi.«
Es wurde Nachmittag. Mit leisem Grauen dachte Tamar an den Abend, der auf sie wartete. Sie hatte keinen Spätdienst, und sie wusste nicht, wohin sie sich aus dem kleinen Pensionszimmer flüchten sollte.
Noch am Freitag hatte sie sich von Markert nach Blaubeuren fahren lassen und dort Berndorfs Citroën XM geholt. Vielleicht sollte sie einfach die nächsten Tage freinehmen, einen Teil ihrer Überstunden abfeiern und irgendwohin fahren, wo sie schwimmen konnte und es ein gutes Fitness-Center gab.
Dann dachte sie, dass sie für einen solchen Ausflug nur ungern Berndorfs Wagen nehmen würde. Ohnehin war es ein höchst unerwarteter Vertrauensbeweis gewesen, dass er ihr die Schlüssel gegeben hatte. Sie musste das nicht noch strapazieren. Jedenfalls war es höchste Zeit, dass sie sich ein eigenes Auto zulegte. Und für die freien Tage könnte sie sich ja auch einen Mietwagen nehmen.
Plötzlich stutzte sie. Mietwagen? Sehr nützliche Fahrzeuge sind das, ging es ihr durch den Kopf. Warum zum Beispiel sollte Eberhard Schülin eigentlich in seinem eigenen Wagen nach Görlitz gefahren sein? Der war doch viel zu auffällig. Sie holte das Branchenverzeichnis und schlug es bei den Autovermietungen auf.
Eine Stunde später war sie um eine Enttäuschung reicher. Keine der Ulmer Niederlassungen hatte einen Wagen auf den Namen Schülin oder Twienholt vermietet.
Und die Firmenzentralen der großen überregionalen Mietunternehmen arbeiteten am späten Nachmittag nicht mehr. Sie müsste es am nächsten Tag noch einmal versuchen. Die freien Tage mussten warten.
Aus dem kleinen quadratischen Arbeitszimmer des Kriminologen Mordechai Rabinovitch sah man die flachen Dächer von Tel Aviv. Regenschauer peitschten darüber.
Ein schmaler bebrillter Mann stand neben Rabinovitchs Schreibtisch, auf dem er einen Stapel von Vergrößerungen ausgebreitet hatte. Berndorf sah, dass es Vergrößerungen der Fotografien waren, die er von Hendriksen und Twienholt mitgebracht hatte.
Der schmale Mann sprach lautes und rauhes Iwrith. Mit einem Stift markierte er einzelne Stellen der Porträts, den Nasenwinkel, den Jochbogen, die Wangenknochen.
Berndorf verstand kein Wort. Aber wenn er die Markierungen verglich, blieb kein Zweifel.
Der Mann verließ das Büro wieder. Rabinovitch lehnte
Weitere Kostenlose Bücher