Der Schatten im Norden
plötzlich das Tier wie eine Sturzsee über
ihn, riss an seinem Hals ---
Irgendetwas ergoss sich, eine schreckliche Flut strömte
aus. Schwäche überfiel das Tier. Seine Kiefer lösten sich
und das Knurren wurde zu einem Seufzer. Es zitterte, fiel
zur Seite, schüttelte sich, wie wenn es verwirrt wäre.
Tropfen spritzten umher. Es sank auf die Hinterbeine,
hob noch einmal den Kopf und sackte dann kraftlos nach
vorn.
Mr. Brown ließ das Messer fallen und zog den
bluttriefenden Mantel zum Hals hinauf. Er lag gegen die
Mauer gelehnt, seine Beine unter der Last des Hundes
begraben, und spürte, dass ihn seine Lebenskräfte
verließen.
Aber er hatte es geschafft. Wahrscheinlich würde er den
Hund nicht überleben, aber die junge Frau war tot. Er
streckte die Hand tastend aus und berührte ihr Haar, das
feucht auf dem Steinboden neben ihm ausgebreitet lang.
Dann war eine Stimme vom Eingang der Gasse her zu
hören: »Chaka?«
Er drehte sich, bekam seine Beine frei und ließ sich auf
die Knie fallen. Da stand sie, eine Laterne in der Hand
und ohne Hut, blond, das hübsche Gesicht, der entsetzte
Blick aus dunklen Augen. Diese Augen!
Das war doch nicht möglich!
Er schaute neben sich und riss den Mantel fort, der das
Gesicht der Toten verdeckte.
Ein großes Feuermal reichte ihr vom Mund bis zur
Stirn. Er hatte die Falsche umgebracht --- er, der so Stolz
auf seinen Beruf war.
Der Kopf fiel ihm nach vorn und er versank in immer
währendem Schrecken.
Sally stürzte herbei, ging vor der am Boden liegenden
jungen Frau auf die Knie und setzte die Laterne auf die
Pflastersteine. »
Isabel! ---«, rief sie. »Isabel! ---«
Sie legte ihre Hände auf die Wangen der anderen Frau.
Deren Augenlider begannen zu zittern, sie öffnete die
Augen und sah verstört um sich wie jemand, der aus
einem Albtraum erwachte. »Sally«, flüsterte sie. »Hat er
---?«, begann Sally.
»Er hat mir ein Messer in den Leib gestoßen, aber die
Klinge ist in meinem Korsett stecken geblieben - es
klingt lächerlich - mir wurde schwarz vor den Augen ---
aber Chaka ---«
Sally war es, als habe ihr das Schicksal einen Stich ins
Herz versetzt. Sie nahm die Laterne und hob sie hoch.
Das blinkende Licht tanzte über die Leiche des Mannes,
über das blutüberströmte Pflaster und über den Kopf des
Hundes, der sie aus trüben Augen ansah. »Chaka«, sagte
sie mit gebrochener Stimme, die ihre ganze Liebe zu dem
treuen Tier verriet.
Und der Hund hörte sie vom Rand des Todes, hob
mühsam den Kopf und schlug einmal, zweimal, dreimal
mit dem Schwanz, ehe ihn seine große Kraft verließ. Sie
warf sich neben ihn auf das Pflaster, nahm seinen Kopf in
die Hände und küsste ihn. Ihre Tränen mischten sich mit
seinem Blut, während sie immer wieder seinen Namen
rief.
Er versuchte zu antworten, doch seine Kehle blieb
stumm. Um ihn breitete sich Dunkel aus. Sally war bei
ihm, alles war gut. Dann erlöste ihn der Tod.
DER UMZUGSWAGEN
Die gewöhnliche Zeit schien aufgehoben, und für den
Rest des Abends und bis tief in die Nacht hinein
herrschte eine andere albtraumhafte Zeit mit
Schaulustigen, der Polizei und einem Arzt für Isabel (sie
hatte eine Schnittwunde in der Rippengegend), und am
Ende kam auch noch ein mürrischer Mann mit einer
Karre und wollte Chaka wegschaffen. Aber Sally
widersetzte sich entschieden. Stattdessen bezahlte sie den
Mann dafür, dass er das tote Tier in den Garten ihres
Vermieters bringe, und gab ihm außerdem eine halbe
Krone für eine Plane aus Segeltuch. Chaka würde dort
begraben werden, wo sie es wünschte.
Isabel legte sich zu Bett, sobald der Arzt gegangen war.
Sie zitterte und war verstört, außerdem setzte nun auch
der Wundschmerz ein. Sally musste viele Fragen
beantworten: Ja, der Hund gehöre ihr; nein, sie wisse
nicht, weshalb man Miss Meredith überfallen habe; nein,
sie kenne den Täter nicht; ja, Miss Meredith wohne hier;
ja, sie habe den Hund immer um diese Zeit ausgeführt;
nein, weder sie noch Miss Meredith hätten Drohungen
erhalten... Am Ende schien die Polizei zu der Ansicht zu
neigen, dass Isabel durch Zufall Opfer eines
Gewaltverbrechens geworden sei. Dennoch blieben viele
Fragen offen. Der Täter war für einen gewöhnlichen
Straßenräuber zu gut bewaffnet. Auch dass er sich ein
Opfer ausgesucht hatte, das von einem solchen Hund
begleitet wurde, wo es doch wahrhaftig weniger riskante
Ziele gab, musste verwundern. Schließlich zogen sie
kopfschüttelnd ab. Erst nach drei Uhr morgens kam Sally
ins Bett, doch wie
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