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Der Schatten im Norden

Der Schatten im Norden

Titel: Der Schatten im Norden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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und sie hatten sich schon öfter
bezahlt gemacht. Sally nickte und fand zu einem
Lächeln.
»Ich habe mir gedacht, dass die Akten in Baltic House
waren«, erläuterte Frederick. »Offenbar waren sie nicht
auf der Polizeiwache. Bellmanns Leute könnten
Uniformen getragen haben, um den Büroleiter deines
Vermieters zu beeindrucken. Vielleicht waren es sogar
echte Polizisten --- ich kann mir vorstellen, dass sein
Einfluss so weit reicht. Auf jeden Fall ist er der Einzige,
der ein Interesse an den Akten hatte. Wir warteten also,
bis Bellmann das Haus verlassen hatte, und dann sind wir
einfach hineinspaziert. Ich wusste, dass man nicht
weiterfragen würde, wenn klar war, dass die Akten in
Bellmanns Haus transportiert werden sollten. « »Wir
haben das nicht zum ersten Mal gemacht«, sagte Jim.
»Das ist schon lustig, ja wirklich erstaunlich, was man
sich mit so einem Stück Papier erlauben kann --- man
könnte ja fast einen umlegen und bei Fragen nur den
Wisch vorzeigen... « »Oh, wenn ich alle meine
Unterlagen verloren hätte... « Sally graute bei dem
bloßen Gedanken. Ohne die Akten hätte sie nicht mehr
über das Geld und die Anlagen ihrer Klienten wachen
können. Bei Börsenschwankungen hätte das verheerende
Folgen gehabt. Einige Klienten hätten überraschende
Gewinne, andere aber schlimme Einbrüche erlebt. Alles
kam darauf an, die Informationen stets bei der Hand zu
haben und rasch zu reagieren. Wenn sie daran dachte,
was sie hätte verlieren können...
»Könntet ihr für mich die Akten in Mr. Temples Haus
bringen?«, fragte sie. »Hier ist nicht genug Platz, und seit
Bellmanns Leute wissen, wo ich wohne, sind sie dort
auch nicht mehr sicher. « »Als Erstes nehme ich ein
Bad«, sagte Frederick, »und dann muss ich etwas gegen
meinen knurrenden Magen unternehmen und dann bringe
ich die Akten, wohin du willst. Und beim Essen kann ich
dir berichten, was ich im Norden herausgefunden habe.
Aber eines sage ich schon jetzt zu Jim: Wir müssen
Mackinnon finden. « Sally hatte sich verändert, dachte
Frederick beim Rasieren. Chakas Tod hatte sie mehr als
nur gerührt. Irgendetwas tief in ihr hatte sich gewandelt.
Waren es ihre Augen, war es ihr Mund? Es war schwer
zu sagen, worin sich die Veränderung zeigte, aber sie
setzte ihm gewaltig zu. Wie sie auf ihn zugekommen
war, mit den dunklen Augen und dem blassen Gesicht ---
es war das erste Mal, dass er sie so hilflos gesehen hatte,
so verstört und so auf ihn angewiesen. Und wie sie die
Arme um seinen Hals geschlungen hatte... Alles änderte
sich.
Beim Mittagessen berichtete er ihnen von Henry
Waterman und dem Dampfmaschinengewehr, und Sally
steuerte die Ergebnisse ihrer Recherchen in der
Patentbibliothek bei. Webster kam aus dem Atelier
herein, hörte, was sie beredeten, und setzte sich dazu.
»Wie sieht die ganze Vorgeschichte aus?«, fragte er.
»Fasst das mal in kurzen Worten zusammen. «
»Bellmann and Nordenfels gingen nach Russland«,
begann Sally. »Nordenfels entwarf dieses
Dampfmaschinengewehr und meldete es zum Patent an,
aber in Russland war das Projekt nicht zu verwirklichen,
weil die Industrie und die Technik dafür fehlten. Sie
brauchten ein Land mit Tradition im Lokomotivbau. «
»Dann kam es zu dem Kampf«, fuhr Frederick fort. »Sie
waren über irgendetwas in Streit geraten - was es war, ist
unerheblich -, worauf Bellmann Nordenfels tötete, dessen
Pläne stahl und nach England kam. Hier erfand er einen
Ingenieur namens Hopkinson. «
»Und ließ sich die Erfindung auf seinen Namen
patentieren«, sagte Sally. »Außerdem muss er Geld von
den Russen gehabt haben. « »Warum?«, fragte Webster.
»Als sein Zündholzimperium zusammenbrach«,
berichtete Frederick, »stand er mittellos dar. Doch bei der
Ankunft in England im Jahr 1873, fehlte es ihm nicht an
Geld. Es ist nur eine Vermutung, aber ich meine, dass die
russische Regierung ihn finanziell unterstützt hat. Sie
wollten, dass er das Dampfmaschinengewehr baut, und
dafür haben sie ihm Geld zur Verfügung gestellt. Seine
anderen Geschäfte, die Schifffahrtsgesellschaft, das
Aufkaufen von Firmen und der Verkauf von
Vermögenswerten, das war alles bloßer Zeitvertreib.
Worum es wirklich ging, war das
Dampfmaschinengewehr... Nur verstehe ich nicht, wer
solch eine Waffe brauchen könnte. « »Nun, jeder General
würde sie doch mit Kusshand nehmen«, meinte Webster.
Sally schüttelte den Kopf, und Frederick lächelte, denn
er merkte, dass jetzt in ihr die Militärstrategin erwachte.
»Erstens

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