Der Schatten im Norden
es nichts anderes.
Ich bin mit Ihnen zusammen, aber zugleich fühle ich
mich allein. Ich wünschte mir, es gäbe noch die alten
Lustgärten wie Vauxhall oder Cremorne. Dann könnte
ich verkleidet dorthin gehen und die Lampions in den
Bäumen und das Feuerwerk sehen und den tanzenden
Paaren zuschauen... «
»Cremorne hätte Ihnen nicht gefallen. Es war am
Schluss billig, kitschig und schmutzig, ehe es ganz
geschlossen wurde. Nur nachts war es passabel, wenn der
Schmutz nicht zu sehen war. Sie mögen nicht gern selbst
etwas tun. Sie möchten lieber zuschauen. Habe ich
Recht?«
Sie nickte. »Ja, das stimmt wohl. Ich glaube nicht, dass
ich jemals etwas gut gemacht habe. « Sie bemitleidete
sich nicht, sie teilte einfach nur eine Tatsache mit. »Aber
Sie haben den Kutscher anhalten lassen. « »Ja. Darüber
bin ich froh. Ich weiß nicht, was er sagen wird.
Wahrscheinlich wird er es meinem Vater sagen ---
sicherlich sogar. Ich werde ihm sagen, dass ich mir ein
wenig die Beine vertreten wollte. « Sie gingen wieder ein
Stück, dann sagte sie: »Aber Sie tun etwas. Sie sind
Detektiv --- und Fotograf. « »Nein, ich bin gar kein
Fotograf. Ich... schreibe Stücke. «
»Ach wirklich?«
»Die ganze Zeit über. Nur hat sie bis jetzt noch niemand
aufführen wollen. «
»Werden Sie einmal ein Vermögen damit machen?«
»Das nehme ich schwer an. « »Und berühmt werden?
Wie Shakespeare?« »Unbedingt. «
»Wovon handeln Ihre Stücke?«
»Mord und Tod. Wie bei Shakespeare. « Aber kein
echter Mord, dachte er. Er hatte nie über Personen
geschrieben, die tatsächlich gelebt haben und umgebracht
wurden. Nie über den krank machenden Schock, den die
Zeugen solcher Geschehnisse erleiden. Das wäre einfach
zu entsetzlich, viel schlimmer als Vampire. Sie ließen
sich noch ein bisschen treiben. Nie zuvor hatte er solches
Glück und solche Bange empfunden.
»Ich muss Ihnen etwas sagen«, setzte er an. »Sie sind
so... so schön, so liebreizend. Das sind nicht die richtigen
Worte, aber noch nie bin ich jemandem wie Ihnen
begegnet. Nie und nirgendwo. Sie sind die schönste, die
vollkommenste... « Zu seiner Verwunderung traten ihr
Tränen in die Augen. »Ich wünschte mir... «, sagte sie
schniefend, »ich wünschte mir, es gäbe über mich
anderes zu sagen. Am liebsten ginge ich verkleidet oder
mit einer Maske. Am Ende heißt es immer nur, ich sei
schön. « Sie sprach das Wort so aus, als sei es etwas
Verachtenswertes. »Sie sind das genaue Gegenteil einer
Person, die ich vor kurzem kennen gelernt habe«, sagte
er. »Eigentlich hässlich ist sie nicht, aber sie hat ein
Feuermal quer über dem Gesicht, und sie mag nicht, dass
andere es sehen. Und dabei liebt sie... « Ihren Mann,
dachte er. »Einen miesen Typ. Und sie weiß, dass er sie
nie lieben wird, und das ist ihr ganzes Leben. «
»Oh, das arme Mädchen«, sagte sie. »Wie heißt sie?«
»Isabel. Aber jetzt müssen wir erst einmal Meister
Bellmann stoppen. Wissen Sie, was er vorhat? Wissen
Sie, was er dort oben in Barrow zusammenschmieden
lässt? Sie können unmöglich ein solches Ungeheuer
heiraten. Jeder nur halbwegs ehrliche Anwalt könnte
nachweisen, dass man Sie gegen Ihren Willen zu dieser
Ehe genötigt hat. Man würde sie nicht wegen Bigamie
verurteilen. Das Einfachste wäre noch, die ganze Sache
publik zu machen. Zum Teufel mit den Schulden Ihres
Vaters, er hat sich den Schlamassel selbst zugezogen,
und nun mutet er Ihnen diese Hölle zu, um sich daraus zu
befreien. Doch bis es nicht bekannt ist, kann sich keiner
sicher wähnen, am allerwenigsten Mackinnon. « »Ich
werde denen nichts verraten«, bekräftigte sie. »Was
werden Sie nicht verraten?« »Wo er sich versteckt hält.
Oh -«
Sie schaute über seine Schulter, und Verzweiflung lief
über ihr liebliches Gesicht wie der Schatten einer Wolke,
der über einen sonnenbeschienenen Garten streicht. Er
wandte sich ebenfalls um und sah den VictoriaZweisitzer zurückkommen. Der Kutscher hatte sie noch
nicht gesehen.
Jim drehte sich wieder um und bedrängte sie: »Wollen
Sie damit sagen, dass Sie wissen, wo er ist, Mackinnon
meine ich. « »Ja, aber -«
»Sagen Sie es mir rasch, ehe die Kutsche hier ist! Wir
müssen es wissen --- verstehen Sie das nicht?«
Sie biss sich auf die Lippen und nickte. »Hampstead«,
sagte sie, »Kenton Gardens 15. Unter dem Namen Stone
--- Mr. Stone. « Jim nahm ihre Hand, führte sie an seine
Lippen und küsste sie. Alles ging so rasch zu Ende. «
»Können Sie wieder hierher
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