Der Schatten von nebenan - Roman
alles, was ich tat oder sagte, mit David Amos zu tun zu haben schien. Er nahm das Buch aus meiner Hand und drehte es zweimal.
»Und? Was hat dieses Buch mit allem zu tun?«
»Ist eine komische Geschichte. Durant wollte Amos wegen des Buches konfrontieren«, sagte ich.
»Und warum das?«, fragte er.
»Er fand, dass David Amos seine Heimatstadt in dem Roman nicht richtig dargestellt hätte.«
»Seine Heimatstadt? Wissen Sie, was verrückt ist? Das hier. Sie spielen nicht herum, oder?«
»Lassen Sie mich versuchen zu erklären. Der Ort, aus dem der Mann kommt, ist Schauplatz des Buches. Oder jedenfalls möglicherweise. Wenigstens dachte Durant das. Er stammt aus einer Stadt unten im Süden, und er hatte gedacht, nun, er suchte nach einem Ort, wo er übernachten konnte. Und er wollte Amos damit konfrontieren, was er für eine Verdrehung der Tatsachen hielt. Er wollte, dass Amos einige Dinge im Buch korrigierte. Sehen Sie, es ist eine Geschichte über die Beziehung eines Vaters zu seiner Tochter, und ich denke, diese Menschen waren gekränkt von der Art, wie Amos ihr Dasein aufzeigte.«
»Aber es ist doch nur ein Buch!«
»Menschen lesen Bücher, und manchmal trifft ein Buch einen Nerv tief in ihrer Seele. Sie fangen an, sich vorzustellen, der Autor schreibe über sie. Durant ließ sich nicht von der Idee abbringen, dass Amos über ihn geschrieben hat.«
»In Ordnung. Aber warum landete der Fremde bei Ihnen?«
»Reiner Zufall. Er hatte sich verfahren. Es war nichts weiter als ein Versehen. Ich bot ihm an, mein Telefon zu benutzen. Wir fingen an, uns zu unterhalten …«
»Und wo ist der Mann jetzt?«, fragte Palmer.
»Ich weiß nicht. Ich sah seinen Wagen ein paar Tage lang vor unserem Haus geparkt. Dann war er verschwunden. Ich hab nie wieder von ihm gehört. Wissen Sie, er kam gerade, als meine Frau ihren Unfall hatte.«
»Was für ein Auto?«
»Es ist ein grüner Cadillac. Mit Florida-Kennzeichen.«
»Wie war sein Nachname?«
Ich wiederholte seinen Namen, und Palmer zog seinen Stift hervor und kritzelte den Namen in seinen Schreibblock. Als er fertig war, sah er auf.
»Amos hat mir nichts von diesem Durant gesagt.«
»Vielleicht hat Durant seine Meinung geändert und ihn nicht angesprochen. Vielleicht hat er sich’s anders überlegt, ist einfach wieder zurückgefahren in sein Heimatstädtchen.«
»Sie hätten mir von diesem Mann früher erzählen sollen … kommt in die Stadt, um sich mit Ihrem Nachbarn anzulegen, dann verschwindet das Kind von Amos. Ist es nicht immer die einfachste Möglichkeit, die Dinge gleich beim Namen zu nennen?«
Er stellte die Frage in aller ihr gebührenden Ernsthaftigkeit. Ich nickte nur. Dann stand Palmer auf und verließ wortlos das Zimmer. Ich hörte, wie die Tür hinter ihm ins Schloss fiel. Ein paar Minuten saß ich auf meinem Küchenstuhl und überlegte, ob Priscilla das Opfer eines zufälligen Gewaltverbrechens geworden sein könnte. Einer dieser Gewaltausbrüche, von denen man in den Zeitungen liest, und der in einer Stadt wie New York auf Menschen wie kalter Hagel mitten im Sommer herunterkommt. Vielleicht, dachte ich mit einem Schauer auf dem Rücken, war die Realität mit Gretas Spiel zusammengestoßen.
-6-
E s war immer noch ein oder zwei Stunden hell, als ich auf die Straße trat. Auf der Seventh Avenue spielte jemand einen Jazzsong. Ein Flugzeug senkte sich langsam in Richtung LaGuardia. Vögel zwitscherten und ein schwanzloses Eichhörnchen rannte einen dürren Zweig hinauf, bis es in den dichten, feuerroten Eichenblättern verschwand. Ich fühlte den Knoten in meinem Hals wachsen, als ich erneut zum Haus der Amos’ ging. Wieder öffnete niemand, und da ich nichts mithatte, um eine Nachricht zu hinterlassen, beschloss ich, später zurückzukehren. Ich musste eine Stunde vor meinem Computer im Keller gesessen haben, als die Kirchenuhr auf der Seventh Avenue mir mit neun Glockenschlägen die Zeit mitteilte. Wieder griff ich meine Jacke und trat in den Oktoberabend, der plötzlich den Geruch von frischem Schnee mit sich brachte. »Mr. Shelby! Galvin Shelby!«, hörte ich da jemanden rufen. Der Kastanienbaum, der das Licht der Straßenlaternen schluckte, verwandelte David Amos für einen kurzen Moment in einen Schatten.
»Galvin Shelby!«
Amos kam wieder unter dem Baum hervor und stieg unsere Stufen herauf, wo er vor mir anhielt, erleuchtet von der Lampe an unserer Tür. Dunkle Ringe unter den Augen ließen ihn angestrengt aussehen. Er war unrasiert und
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