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Der Schatten von nebenan - Roman

Der Schatten von nebenan - Roman

Titel: Der Schatten von nebenan - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Saur
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weitermachte, und dass der Zweck dieses Treffens in einer Wolke aus Alkohol und nichts enden könnte, bevor ich wirklich herausfinden sollte, was los war. Doch dann rührte Amos den nächsten Scotch nicht an. Er hielt das Glas in der linken Hand, platzierte es auf seinen Fingerspitzen, als hoffte er, unter dem Glas etwas zu entdecken.
    »Greta tötete Priscilla«, sagte er dann kalt.
    Amos’ Gesicht war wie versteinert. Nur die pulsierenden Venen an seinen Schläfen bewegten sich.
    »Greta hat Priscilla getötet. Meine Tochter tötete einen anderen Menschen. Greta brachte das Mädchen aus Gier um. Verstehen Sie? Es ist nicht kompliziert«, sagte er, und diesmal spürte ich zum ersten Mal eine Spur von Ungeduld in seiner Stimme. »Manchmal ist das Leben absurd einfach. Greta brachte sie um. Wegen des Geldes. Einfach so, wegen des Geldes.«
    Ich hoffte noch, dass das, was Amos sagte, eine Art Umleitung war, ein metaphorischer Versuch, etwas anderes herauszuschälen, eine schriftstellerische Komplikation, die zu einem überraschenden, befreienden Schluss führte. Ich suchte bereits verzweifelt nach etwas, das die Bedeutung von dem, was er mir gerade gesagt hatte, milderte, verzweigte, unterhöhlte. Ich wollte nicht akzeptieren, dass in diesem Zusammenhang »getötet« buchstäblich gemeint war. Aber Amos fuhr fort, und jegliche Hoffnung löste sich auf. Die Worte fingen an, ihre schreckliche Nachwirkung zu hinterlassen, wie eine kochende Flüssigkeit, die auf die Haut tropft und zuerst zu heiß ist, um sie zu fühlen.
    »Sie hat sie erstickt«, sagte er. »Es mag so ausgesehen haben, als ob die beiden Mädchen Freundinnen waren. Aber man kann nie wissen.« Er machte eine Pause, schien seinen eigenen Gedankenfluss zurückzuverfolgen.
    »Wissen Sie, Habgier kann einen Menschen sofort überwältigen. Ich glaube, jeder kennt dieses Gefühl. Die meisten Menschen erkennen die Gier, wenn sie sie in jemand anderem sehen. Ich war stets der Ansicht, wir müssten uns großzügig zeigen, wenn das passiert, wenn die Gier jemanden in einem bestimmten Moment mit all ihrer Kraft in Besitz nimmt, denn wir sind alle schon zu ihrem Opfer geworden. Aber wenn die Gier erst einmal anfängt, sich ihren Weg zu bahnen, sich festbeißt, ist das verblüffend. Wenn die Gier von einer Person ganz und gar Besitz ergreift, muss man sich über den Charakter wundern. Mir jedenfalls bleibt dann nichts anderes übrig.«
    Er nahm einen weiteren Schluck von seinem goldenen Whisky. Mir schien, seine Stimme hatte einen anderen Klang angenommen und war nun tiefer, wie angestrengt vom Reden.
    »Ich nehme meiner Tochter ihre mangelnde Voraussicht übel. Ich verabscheue nur die Gier mehr. Greta tötete Priscilla Glassman, nachdem die Familie das Lösegeld bezahlt hatte. Sie brachte sie in den Park und band sie an den Baum.«
    Irgendwo draußen bellte ein Hund. Ich hatte beide Mädchen getroffen. Sie hatten eine verrückte Idee gesponnen, eine Idee aber auch, die ich im Grunde für harmlos gehalten hatte. Der Hund auf der Straße schien Amok zu laufen, und ich hoffte absurderweise, sein Gebell würde so laut werden, zu einem solchen Getöse ausarten, dass ich Amos nicht mehr verstehen könnte. Doch der Hund jaulte noch ein letztes Mal auf und war dann still.
    »Was macht man als Vater, wenn man in seinem Kind auf eine Unvollkommenheit stößt, die so unglaublich massiv, so enorm ist? Wenn man in seiner Tochter einen Fehler entdeckt, der zu gewaltig ist, um ihn ganz zu begreifen, und der doch als kleine Unvollkommenheit begonnen haben muss, als eine winzige Sache, die wuchs und gedieh, und die man, ja, die ich schlicht übersehen habe. Ich verabscheue, was meine Tochter getan hat, aber ich kann nicht umhin zu denken, dass ich es hätte verhindern können, wenn ich es nur erkannt hätte. Also stecke ich auf eine Art mit ihr drin. Ich fühle mich mitschuldig. Daran führt kein Weg vorbei.«
    Als er sich nun erhob, dachte ich, er wolle noch einen Scotch holen, obwohl die Flasche noch nicht leer war. Stattdessen verschwand er in einem Raum, den ich vorher nicht bemerkt hatte, einer kleinen, fensterlosen Kammer, die von der Küche abging. Auf einem hellroten Perserteppich stand ein antiker Tisch mit einer Schreibmaschine darauf. Amos zog ein Buch aus einem Regal. Als er die Schiebetür zu seinem Büro wieder schloss, gab sie ein sanftes, aber tiefes Gleitgeräusch von sich.
    »Hier. Dies ist für Sie. Sie schätzen dieses Buch. Ich weiß das von dem Detective.«
    Sein

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