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Der Schatten von nebenan - Roman

Der Schatten von nebenan - Roman

Titel: Der Schatten von nebenan - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Saur
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reichte. Die Verrückte erzählte Palmer, dass sie jemanden bei Ihnen reingehen gesehen hätte. Die Frau ist eine allseits anerkannte Verrückte, eine Irre, die Gespenster sieht, eine Muschel, an die man sein Ohr heften kann und aus der nichts als ein Rauschen dringt. Ich hätte normalerweise nichts auf die Worte dieser Frau gegeben. Aber Palmer hatte mir erzählt, Sie wären ein großer Bewunderer meines Buches ›River Blue‹. Zuerst war ich verwirrt, wusste nicht, was das bedeuten konnte. Aber als Palmer mir von diesem Besucher aus Florida erzählte, von dem Sie ihm berichtet hatten, als er mir diese merkwürdige Geschichte auftischte, die auf phantastische Art in meine Geschichte mündete, verstand ich plötzlich. Alles passte und saß.«
    Der Raum war plötzlich erfüllt mit Erwartung. Da glühte etwas in Amos’ Augen. Und schon sprach er es aus. Nein, er sprach es nicht, er stieß es mit einem vibrierenden Ton in seiner Stimme hervor. Zuerst glaubte ich sogar, etwas wie Siegesgewissheit in seiner Stimme zu hören. »Palmer ist ein Polizist. Es liegt nicht in seiner Vorstellungskraft zu begreifen, dass Sie diese Person erschaffen haben. Dass dieser Fremde Ihrem Gehirn entsprungen ist.«
    Er kramte ein Stück Papier hervor, zog es aus seiner Hosentasche.
    »Randolph Durant. Der Name klingt melodisch wie ein altmodischer Faulkner-Charakter. Als Polizist sucht man nach den Beweisen und begreift nicht, in was für einem engen Gefüge man sich dabei befindet. Aber wir sind anders. Ich wusste mit einem Mal, dass dieser Randolph Durant Ihr Gedankengeschöpf war. Es kam über mich wie ein Geistesblitz. Er ist Ihr Schattenmann, Ihre Erfindung. Und Sie müssen ihn nun mir überlassen. Ich kann nicht anders als ihn von Ihnen kaufen, jetzt, wo er schon einmal das Interesse von Palmer erregt hat. Verstehen Sie jetzt?«
    Keiner von uns erwähnte, wie bizarr und verrückt die ganze Angelegenheit war. Es schien für jedermann absolut akzeptabel, eine ausgedachte Figur vorzuschieben, um jemand anderen zu retten. Erst da verstand ich, dass es nicht Siegesgewissheit war, die ich in Amos’ Stimme gehört hatte. Es klang ernste Erleichterung über diesen Ausweg durch. Und ich erkannte schließlich, dass dieses ganze Treffen wie eine Art Verhör gewesen war, und dass in einem Verhör Erfundenes und Tatsachen auf eine Weise aufeinander stoßen und sich vermengen, dass daraus etwas entsteht, was am Ende sowohl ausgedacht als auch wirklich ist, ein Geschöpf aus beidem.

-9-
    D avid Amos’ Finger trommelten auf der Sporttasche wie auf einem Instrument.
    »Das ist Ihr Durant mir wert. Ich kaufe ihn Ihnen ab. Sie erhalten für ihn die Million Dollar.«
    Amos’ Augen durchbohrten mich. Kate Amos schluchzte. Ihr Make-up war verschmiert. Sie hatte eine Weile nichts gesagt, und ihre Brust hob und senkte sich schwer. Und sogar Greta fing an zu weinen und ließ die Tränen laufen, ohne sie wegzuwischen.
    »Sehen Sie, manchmal bleibt man nach dem Startschuss an der Startlinie stehen. Lassen Sie das nicht zu. Nehmen Sie das Geld. Wir können nicht ändern, was geschehen ist. Aber wenn Sie Ihre Figur aufgeben, wenn Sie sie opfern, wird alles gut enden, niemand muss zu Schaden kommen.«
    Amos’ anfängliche Frage drang mir wieder in den Kopf. Muss ein Kind für einen Fehler bis zum Ende bezahlen?
    »Vielleicht ist dieser Durant dazu bestimmt, genau dies zu tun. Vielleicht ist seine Aufgabe, Greta vor dem Unglück zu bewahren, in das ihre Tat münden würde, wenn Sie Durant nicht erfunden hätten«, fuhr Amos fort.
    Kate Amos sah ausgetrocknet aus. Ihre Züge hingen durch. Tränen strömten ihre Wangen hinunter. Als sie bemerkte, dass ich sie ansah, wischte sie die Tränen mit dem Handrücken weg.
    »Nehmen Sie das Geld«, bettelte sie mit schwacher Stimme. Es war, als hätte sie etwas verschluckt, das ihren Worten einen anderen Ton verlieh.
    Ich versuchte, meine wild kreisenden Gedanken zu ordnen. Amos ging hinüber zu seiner Frau, um ihr ein Taschentuch zu reichen, das er aus der hinteren Tasche seiner Hose zog. Dann legte er eine Hand auf ihre Schulter und mit der anderen rieb er seinen Ellbogen, als plagte ihn dort eine alte Verletzung, die schmerzte, wenn sich das Wetter änderte. Greta starrte auf die Tasche, die Amos auf dem Boden vor dem Sessel stehen ließ, ihre Wangen glitzerten von den stummen Tränen. Amos kehrte zu seinem Platz zurück und rückte den Sportbeutel auf dem Boden zwischen uns näher zu mir. Ich konnte ein Unbehagen

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