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Der Schatten von nebenan - Roman

Der Schatten von nebenan - Roman

Titel: Der Schatten von nebenan - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Saur
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nicht kontrollieren, das wie ein Fieber von mir Besitz ergriff.
    Greta sah von ihren Schuhen auf. Ihre Mutter war kurz davor, wieder zu weinen, und ihre langen Wimpern zuckten wie die Flügel eines kleinen Insekts, das sich für den nächsten Flug bereitmacht.
    »Sehen Sie«, sagte Amos, »normale Menschen tun sich schwer, etwas Falsches zu tun. Aber wir müssen keine moralisch einwandfreien Menschen sein. Sie willigten ein, das Geld von den Glassmans zu nehmen. Sie verstehen sicher, dass die jüngsten Ereignisse auch die Konsequenz Ihrer vorhergehenden Taten sind. Die Sache lief dann aus dem Ruder. Aber das radiert nicht aus, was vorher geschehen ist.«
    Ich versuchte, meine Erschöpfung zu bekämpfen. Der Hund auf der Straße bellte wieder. Amos stand auf, wuchtete die Tasche hoch und ließ sie mit einem dumpfen Geräusch vor meine Füße fallen.
    »Das Geld wird Sie befreien. Dies ist Ihre einmalige Chance. Der Mord an Priscilla wird als ungelöster Fall abgelegt werden, weil jedermann weiß, dass Palmer eine erfundene Figur dem Staatsanwalt nicht liefern kann.«
    Hatte nicht alles als ein Spiel begonnen, dachte ich. Wie konnte ich nicht auf die nächste Wette eingehen? Man gewinnt, man verliert. Dann möchte man zurückgewinnen. Es war Nacht. Das Spiel lief noch, und das Geld floss über das tote Mädchen wie eine Welle über einen flachen Kieselstein, die ihn mitnimmt und in die Vergessenheit trägt. Und so, ganz einfach so, begann der letzte Teil, die letzte Folge in dieser längst ihrer eigenen Logik folgenden Geschichte.

-10-
    I n meinem erschöpften Kopf begann ich mit der Verwandlung von Randolph Durant, machte ihn jünger und schlanker. Er sprach anders, ging anders, aß anders, saß anders. Ich entschied, dass Durant aus Mississippi kam anstatt aus Florida. Ich bedauerte im Stillen, den Namen nicht mehr ändern zu können, setzte aber meine Hoffnungen auf die Tatsache, dass Durant im Süden kein zu seltener Name war. Glücklicherweise hatte ich noch nichts über Durants Kleinstadt-Zeitung, die »Pique Times«, erzählt. Der Verwandlungsprozess dauerte nicht länger als zehn Minuten. Ich realisierte, dass ich zum ersten Mal während dieses Treffens zu Wort gekommen war.
    »Wenn alles vorbei ist, ja bald schon, sollten Sie verreisen«, sagte Amos zum Schluss.
    Eine Million Dollar lag in einem Sportsack zusammengeschnürt zu meinen Füßen. Ich hob die schwere Tasche hoch.
    »Einen Neuner mit einem alten Mexikaner stoßen, am nächsten Tag mit jemand anderem Schach spielen, dem Mond hinterherjagen«, sagte er.
    Damit endete das Treffen. Der Abschied ging rasch vonstatten. David Amos führte mich zur Tür, seine Frau und Tochter blieben im Wohnzimmer. Er legte seine Hand auf meine Schulter, die schwer von der Geldtasche nach unten gezogen wurde.
    »Es war Nabokov, der sagte, dass die Kraft der Vorstellung eine gute Kraft sei. Wir tun das Richtige.«
    Dann öffnete er die Tür in die klare Nacht.
    »Der November ist nah«, sagte er, »wissen Sie, an einem Abend im Oktober vor zwei oder drei Jahren fragte mich meine Frau, ob ich mit ihr und meiner Tochter einen Spaziergang im Park machen wolle. Fünfzehn Minuten später verließ ich mein Büro, und auf dem Weg zur Küche blieb ich stehen. Zwischen den Fensterläden sah ich sie da draußen, meine Frau und meine Tochter, ins Licht des frühen Herbstes getaucht. Ich konnte den Hals meiner Frau und etwas von ihrem Haar um ihr Gesicht fließen sehen. Sie standen da und unterhielten sich wie Freunde, vielleicht über mich, vielleicht über etwas anderes. In diesem Moment brach etwas in mir. Ich fühlte, wie lebensfroh sie waren, wie sie so ganz in einer anderen Welt lebten, einer, aus der ich nicht entfernt werden wollte. Denn da merkte ich, was ich schon die ganze Zeit hätte wissen sollen. Dass nichts in der Welt wirklich gut ist, wenn man es nicht teilen kann.«
    Er machte eine Pause und sah ein letztes Mal auf die Tasche.
    »Ich bin froh, wieder bei ihnen zu sein.«
    Einige Nachbarn würden die gelben Bänder entfernen, die sie in den letzten Tagen an ihre Briefkästen gehängt hatten, dachte ich, als ich die Tür unseres Hauses aufsperrte. Eine der Glühbirnen im Flur war durchgebrannt. Er erschien mir in der Dunkelheit fremd wie nie zuvor. Im Keller suchte ich nach einem Versteck für das Geld. Ich fand einen leeren Jutebeutel und stopfte das Geld hinein. Gretas leere Sporttasche nahm ich nun mit nach oben. Irrwitzigerweise wollte ich sie den Amos

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