Der Schatten von nebenan - Roman
und dann nicht mehr. Ich kann nicht sagen, ob wir Freunde geworden wären. Aber ich fühlte eine Sympathie für das, was Randolph Durant in meiner Erinnerung wurde, die einsame Figur, entschlossen und verletzt. Durant war einen einsamen Tod in dem Hotel in der Nähe des LaGuardia-Flughafens gestorben, abgelegen von allem, was ihm wichtig war, noch bevor er erreicht hatte, wozu er gekommen war. Der Schriftsteller, dem Durant in New York das Ausstülpen von dessen Phantasie über seine Heimatstadt vorwerfen wollte, wollte am Ende genau das mit Durant machen: sich ihn ausdenken und ihm für den Mord die Schuld geben, den seine Tochter begangen hatte.
Es ist nicht immer leicht, die wahre Geschichte in einer Geschichte auszumachen. Aber dies war die Wahrheit dieser Geschichte.
In der dürftigen Bibliothek, die zu achtzig Prozent aus Telefonbüchern aller Bundesstaaten bestand, fand ich die Gelben Seiten für Jacksonville County, Florida. Ich schickte einen Brief an die Leserbriefabteilung der »Pique Times«, erklärte meine Lage und bat um die letzten Ausgaben. Ich erwartete einen Geschäftsbrief als Antwort und allenfalls die Rechnung für ein Abonnement. Zu meiner Überraschung antwortete nach einer Woche der Verleger namens Donald Durant selbst. Es war ein langer, handgeschriebener Brief.
Der junge Durant hatte die Zeitung nach dem vorzeitigen Tod seines Vaters übernommen, obwohl er sich nach seinen Collegejahren eine Zukunft außerhalb des Familienunternehmens vorgestellt hatte, das vor fast hundertfünfzig Jahren von seinem Urgroßvater gegründet worden war. Er schrieb, wie er seiner eigenen Vision für einige Jahre gefolgt war und eine Ausbildung gemacht und von allen denkbaren Berufen gerade den des Blumenzüchters gewählt hatte. Er hatte ein erfolgreiches Unternehmen gegründet, züchtete hauptsächlich Malven, zu denen er später die schneller wachsenden Dahlien hinzufügte. Er schrieb, dass es vielleicht komisch klingen mochte, aber als junger Mann hätte er sich nach einem handfesten Beruf gesehnt, ja hätte sogar den Nachrichtendruck der Zeitung verabscheut, missbilligt, wie Weltgeschehnisse nur auf Worte reduziert wurden. Unglücklicherweise hätte er sich während dieser Zeit von seinem Vater entfremdet, ohne weiter zu erklären, was die Entfremdung in ihren Einzelheiten verursacht hatte. Sobald er wieder in Jacksonville war, um sich um die nötigen Angelegenheiten nach dem Tod seines Vaters zu kümmern, entschloss er sich zu bleiben. Er übergab das Blumengewerbe seiner Frau. Er war dessen müde geworden, und vielleicht auch seiner Frau. Erfolg war eine der meistüberschätzten Tugenden, schrieb er. Seine Frau war Schönheitskönigin von South Carolina gewesen, mit einem Gespür für Stil und einem Verlangen nach teuren Autos. Er räumte ein, dass sie sicherlich das Geschäft erfolgreich durch die kommenden Gewässer steuern würde.
Die offenen Worte über seine Frau waren nicht der einzige persönliche Aspekt seines Briefes. Er schrieb, dass er mit den Jahren gelernt habe, dass es im Leben normal sei, etwas tun zu wollen, das mit der eigenen Vergangenheit und Jugend nichts zu tun habe, und er wählte dafür einen sehr eigentümlichen Vergleich. Er schrieb, dass sein Ausflug ins Blumengeschäft wie das Verlangen gewesen sei, in ein exotisches und weit entferntes Bordell zu wandern, wo die Mädchen dunkel und geheimnisvoll sind und man die Sprache nicht spricht und der Geruch verführerisch anders ist. Die Faszination dauere aber nur so lange, bis etwas ins Bild rücke, für das man selbst keine Worte finde. Das sei dann das Ende des Ausflugs. Nur so viel könne er mit Gewissheit sagen, dass er unweigerlich zu den Anfängen seiner selbst zurückgezogen worden sei. Denn, so schrieb er, »es kommt der Moment im Leben, der die hellsten Farben verblassen lässt, und in dem der einst köstliche Geruch, den man so sehr in Ehren gehalten hat, bedeutungslos umherwabert und sich schließlich ganz verflüchtigt, sodass man auch keine Sehnsucht mehr danach verspüren wird.« Ich nahm an, dass er sich da wieder auf das Bordell bezog. Er schrieb, dass er jetzt seine wahre Richtung gefunden habe, und dass er den Wunsch verspüre, sich mit seinem Vater zu versöhnen, obwohl dieser ja bedauerlicherweise tot sei. Er halte sich jetzt für einen freien Mann (»keinerlei Anspielung auf Ihre Situation«, merkte er an), obwohl er sichergehen wolle, dass ich den Schmerz verstand, den der Verlust seines Vaters ihm
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