Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schatten von Thot

Der Schatten von Thot

Titel: Der Schatten von Thot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
Vom Netzwerk:
große Tor entschwand.
    »Sie hat das ungestüme Temperament und die Starrköpfigkeit ihres Vaters«, stellte Dr. Laydon fest.
    »Ich weiß.« Du Gard nickte. »Genau deshalb habe ich solche Angst um sie…«

 
    9
     
     
     
    P ERSÖNLICHES T AGEBUCH
     
    Es hat sich nichts geändert. Warum sollte es auch?
    Die Geschichte hat immer wieder gezeigt, dass Veränderungen nicht innerhalb von Monaten und Jahren vor sich gehen, sondern von Jahrzehnten und Jahrhunderten – und dass es Konstanten gibt, an denen selbst der stete Zahn der Zeit vergeblich nagt. Weshalb also sollten plötzlich Klugheit und Einsicht herrschen, wo stets Selbstgerechtigkeit und Ignoranz regierten?
    Es ist mir nicht gelungen, die Verantwortlichen davon zu überzeugen, dass unser Gegner in diesem eigentümlichen Fall außerhalb des Landes zu suchen ist und dass die Spur der Mörder ins ferne Ägypten führt. Ich bin ratlos. Hatten Onkel Mortimer und du Gard vielleicht Recht? Hätte ich mein Wort brechen und die Wahrheit über den Duke of Clarence enthüllen sollen? Habe ich einen Fehler begangen, indem ich die Interessen eines Einzelnen über das Gemeinwohl stellte? Wiegt das Wohl eines Einzelnen weniger, und entbindet mich das von meinem Versprechen?
    Die Antwort scheint mir längst nicht mehr eindeutig. Ich merke, wie Zweifel an mir nagen, und ich sehne mich nach der Einsamkeit und Abgeschiedenheit Yorkshires zurück. Im Nachhinein bereue ich meinen Entschluss, nach London gekommen zu sein, und es gibt einen Teil in mir, der mich dazu drängt, den nächsten Zug zu besteigen und nach Kincaid Manor zurückzukehren. Denn wie auch immer ich mich zu handeln entschließe, es scheint stets die falsche Entschei…
     
     
    H AUS VON M ORTIMER L AYDON , M AYFAIR
    N ACHT ZUM 15. N OVEMBER 1883
     
    Ein helles Klirren riss Sarah aus ihren Gedanken und ließ sie ihren Tagebucheintrag unterbrechen. Im Kerzenschein über den Sekretär gebeugt, hielt sie einen Augenblick inne und lauschte. Kein weiterer Laut war zu hören – sie hatte sich wohl geirrt. Schon wollte sich Sarah wieder ihrem Tagebuch zuwenden, als sie erneut ein helles Klirren vernahm, lauter diesmal und nicht mehr zu leugnen. Und als würde dies noch nicht genügen, waren plötzlich auch noch hektische Schritte zu hören, die aus dem Erdgeschoss der Villa in den ersten Stock drangen, wo sich das Gästezimmer befand.
    Alarmiert sprang Sarah auf, und ungeachtet der Tatsache, dass sie bereits Nachtwäsche trug und es als äußerst unschicklich galt, damit von einem Herrn – und wäre er ihr eigener Patenonkel – gesehen zu werden, verließ sie das Schlafzimmer und stürzte hinaus in den Flur. Schlagartig wurden die Geräusche lauter, und zum Rumpeln und Poltern gesellte sich jetzt noch ein verhaltener Schrei.
    »Onkel Mortimer…?«
    Jähe Furcht um ihren Patenonkel überkam Sarah, und sie eilte zur Treppe, sprang die Stufen hinab – und prallte entsetzt zurück, als sie die leblose Gestalt am Fuß der Treppe erblickte.
    Es war Norman, der Butler des Hauses, dem man die Kehle durchschnitten hatte. Seine Augen waren weit aufgerissen, der Tod hatte blanken Schrecken in seine Züge gemeißelt. Blut rann über die Stufen und sammelte sich auf dem steinernen Boden der Eingangshalle.
    Aus dem Arbeitszimmer des Doktors waren jetzt Geräusche zu hören, die eindeutig als Kampflärm zu identifizieren waren. Dazu glaubte Sarah, ihren Onkel um Hilfe rufen zu hören.
    Ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, ob es klug war, was sie tat, stürmte Sarah durch die Eingangshalle, stieß die Tür zum Arbeitszimmer auf – und sah sich vermummten Gestalten gegenüber. Die vier kräftig gebauten Männer trugen schwarze Tuniken, die ihnen bis zu den Knien reichten, und Burnusse, die sie vor ihre Gesichter geschlagen hatten, sodass nur feindselig starrende Augenpaare zu erkennen waren. Die Vermummten waren mit langläufigen Revolvern bewaffnet, die aus Armeebeständen stammen mochten, und mit gekrümmten Dolchen, die in ihren Gürteln steckten.
    Auch ihren Onkel erblickte Sarah; Mortimer Laydon befand sich in der Gewalt der Eindringlinge, die durch das große Fenster des Arbeitszimmers ins Haus eingebrochen waren. Zwei der Vermummten hatten ihn ergriffen und zerrten ihn davon. Sarahs Blick begegnete dem ihres Onkels, und sie konnte die Furcht in seinen Augen sehen. Einen Moment lang schien die Zeit stillzustehen, dann überstürzten sich die Ereignisse.
    »Sarah, flieh, hörst du? Du musst fliehen,

Weitere Kostenlose Bücher