Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial
ihn die Erkenntnis wie ein Schlag: Das einzig Anständige ist, wenn ich es ihm selbst sage.
Er kroch zu dem Mann hinüber und kniete sich vor ihn hin. »Herr?« Oh, lieber Myrial, hilf mir, das zu tun! Mit stammelnden Worten beschrieb er, wie er die Tote gesehen hatte und wie Barsil ihm die Weste verkauft und bestätigt hatte, wer die Tote gewesen war.
Tormon schrie qualvoll auf und barg das Gesicht in den Händen. Nach einer Weile schaute er auf, von Trauer schwer gezeichnet. »Und Annas?«, fragte er heiser. »Was ist mit meinem kleinen Mädchen?«
Scall schüttelte den Kopf. »Nein, Herr. Von einem Kind habe ich wirklich gar nichts gesehen oder gehört. Aber da lag ganz bestimmt nur eine Leiche.«
»Hast du das gehört, Elion?«, rief Tormon erregt aus. »Das bedeutet, dass es noch Hoffnung gibt. Annas könnte noch am Leben sein!«
»Ja, sie lebt, Tormon«, bekannte Elion lächelnd, »und bitte, frag mich nicht, woher ich das weiß. Nimm einfach an, ich käme aus einer Familie mit dem zweiten Gesicht, und belass es dabei. Überdies kann ich dir genau sagen, wo sie ist, nämlich sicher und wohlbehalten im Haus der Dame Seriema.«
»Wirklich? Meine Annas lebt?« Tormon brach in wilden Jubel aus und wollte schon aufspringen. Doch Elion hielt ihn zurück. »Halt ein, Mann – wohin willst du denn gehen?«
»Zurück nach Tiarond – sofort!« antwortete der Händler energisch und versuchte sich dem Griff seines Begleiters zu entziehen.
»Moment mal, schön langsam«, sagte Elion ruhig, aber bestimmt. »Nicht in diesem Sturm, auf keinen Fall. Außerdem wirst du jetzt in Tiarond gesucht. Du willst doch aus deinem Kind keine Waise machen? Wir denken uns einen Plan aus und gehen morgen früh, um sie zu holen. Das verspreche ich.«
*Es dauert nicht mehr lang bis zum Morgen*, mischte Thirishri sich ein. *Ihr Menschen solltet noch ein wenig schlafen. Das wäre ausnahmsweise einmal vernünftig. Wir müssen für morgen planen, denn diese Soldaten dürfen nicht mit dem Hierarchen nach Tiarond zurückkehren. Bedenke, wie schwierig es wäre, Aethon aus der Stadt zu retten. Wir müssen eine Möglichkeit finden, wie wir sie auf dem Pfad überfallen können -*
»Was? Zwei Dutzend Soldaten?«, jaulte Elion auf. »Was glaubst du denn, wer ich bin?«
*Ich bin zuversichtlich, dass ich mit den meisten allein fertig werde*, versicherte sie. *Es wäre nur problematisch, solange der Hierarch in der Nähe ist, denn ich hätte gute Lust, ihn ebenfalls umzubringen. Wenn ich die entsprechende Kraft anwende, kann ich mir nicht Einzelne herauspicken. Wir müssen sie also voneinander trennen. Sieh zu, dass dir irgendeine Art Ablenkung einfallt, während ich fort bin. Ich werde zur Sägemühle fliegen und nachsehen, was dort geschieht. Ich will mit Veldan sprechen, vielleicht hat sie einen Vorschlag. Außerdem wird uns der Feuerdrache von Nutzen sein.*
»Also gut«, lenkte Elion ein, »aber sei vorsichtig und bring dich nicht in Schwierigkeiten.«
*Luftgeister bringen sich nie in Schwierigkeiten*, zischte sie. Allerdings kannte sie nicht den Aberglauben der Menschen, dass man etwas herbeireden könne …
Kaz war unruhig. Im Raum wurde es zwar langsam warm, aber die beiden Frauen hätten nicht einschlafen dürfen, ohne ihre körperlichen Kraftreserven wieder aufgefüllt zu haben. Ich sollte Toulac wecken, dachte er. Solange sie schlief, konnte sie ihn geistig nicht hören. Er stieß sie hart mit der Schnauze an. Nichts geschah. Sie rührte sich überhaupt nicht. Und Veldan? Ihretwegen machte er sich die größten Sorgen. In dem engen Raum verrenkte er sich fast den Hals, aber er untersuchte seine Partnerin mit großer Sorgfalt. Ihr Atem ging gleichmäßig, aber flach, und sie fühlte sich eiskalt an. Sie muss etwas essen, dachte er. Am besten etwas Heißes, egal was. Aber wo soll ich etwas Heißes hernehmen? Dann fielen ihm Toulacs Worte wieder ein. Wo wir viel zu essen bekommen – das verspreche ich, hatte sie gesagt. Der Drache verschwendete keinen Augenblick und bewegte sich sehr vorsichtig rückwärts aus dem Raum hinaus. Wenn es hier etwas zu fressen gab, dann würde er es finden.
Während er den Tunnel hinunterkroch, überlegte er, ob er eine Nachricht an Thirishri über ihren Aufenthaltsort senden sollte. Er entschied sich dagegen. Wer brauchte schon einen neugierigen Luftgeist und eine nörgelnde Plage namens Elion, damit sie ihre Nase in Veldans und seine Angelegenheiten steckten? Sie können uns sowieso nicht helfen.
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