Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial
Lebensgefährte, und wir haben Aukil bekommen, weil wir ihn wollten. Unser Sohn ist das Kind der Liebe, die wir füreinander empfinden. Und diese seelenlose kalte Gruft mag zu Myrial und vor allem zu dir passen, aber hier möchte ich kein Kind aufziehen.«
Bei diesen Worten spürte Zavahl einen Stich, einen Anflug von Eifersucht; den er rasch fortwischte. Welch ein Unsinn, sagte er sich. Nun, Gilarra ist eben mehr wie meine Schwester. Natürlich vollziehen wir den Großen Ritus zu jeder Wintersonnenwende, um das Leben, Myrials Geschenk an Callisiora, wiederzugewinnen. Doch das ist letzten Endes nur ein Ritual. Nicht mehr. Ich brauche niemanden. Der Heilige, Allmächtige Myrial sollte der alleinige Lebensinhalt jedes Hierarchen sein. Aber warum wendet sich Myrial wegen einer kurzen nächtlichen Verfehlung von mir ab, der ich solche Opfer gebracht habe?
Zavahl riss sich mit Mühe von den finsteren Gedanken los. Er verspürte nicht den Wunsch, sich mit Gilarra zu streiten, doch wies er die von ihr behauptete Notwendigkeit, ein Leben außerhalb des Tempels zu führen, schärfstens von sich. Eine Befürwortung war völlig indiskutabel. Er entschied sich, das Thema zu wechseln. »Wie lauten deine Neuigkeiten?«, fragte er barsch.
»Wie bitte? Nach allem, was du mir gerade mitgeteilt hast, kann es dir wohl kaum noch etwas bedeuten.«
»Sprich!«, forderte Zavahl. »Noch bin ich der Hierarch, und zwar genau bis morgen Nacht.«
Gilarra zuckte die Achseln. »Wenn du darauf bestehst. Rate einmal, was den Bauern nun eingefallen ist!« Und ihre Mimik machte recht deutlich, was sie von den Leuten hielt, die außerhalb der Stadt lebten, außerhalb von Gilarras Welt. »Die Nachricht kam soeben vom Tor herauf. Scheinbar haben ein paar abergläubische Bauerntölpel – fahrende Händler oder dergleichen – Gott weiß was für ein Tier auf dem Schlangenpass gefunden.« Sie lachte Zavahl an. »Und es fiel ihnen nichts Besseres ein, als dass es ein Drache sein müsse – ein Drache, kannst du dir das vorstellen? Wie dem auch sei, sie beschlossen, dass dieses geheimnisvolle, sagenhafte Tier in unsere Verantwortung fiele, also haben sie die glückliche Nachricht den ganzen Weg hierher gebracht. Was willst du damit anfangen? Soll ich ihnen etwas Gold oder Ähnliches geben, oder soll ich sie wegschicken?«
Zavahl hielt den Atem an. Ein Drache? Konnte das wahr sein? Sandte Myrial ihm am Ende doch noch ein Wunder? Ein Zauberwesen aus einer Legende wäre zweifellos das vollkommenste Opfer, um einen erzürnten Gott zu besänftigen. Viel besser als ein gefallener Hierarch. »Komm mit, Gilarra! Das müssen wir uns ansehen.« Zavahl versuchte, entschlossen zu klingen, obgleich er wusste, dass er nur nach einem Strohhalm griff.
Die Suffraganin war gründlich schockiert. »Hast du ernsthaft die Absicht, den ganzen Weg zum Schlangenpass zurückzulegen, und das nur aufgrund der Behauptung eines abergläubischen Schwachkopfs, der höchstens einen bizarren Baumstumpf gefunden haben kann? Zavahl, hast du den Verstand verloren?«
»Nun, hoffen schadet nicht«, erwiderte Zavahl so sanft, dass es ihr den Wind aus den Segeln nahm. Als er sich umdrehte, um den Turm zu verlassen, wusste er genau, dass sie hinter ihm bestürzt den Kopf schüttelte, doch dann folgte sie ihm.
»Was soll das heißen: Raus hier?«, fragte Viora empört. »Das ist unser Zuhause. Man kann uns nicht einfach auf die Straße werfen.«
»Da liegst du falsch, Frau.« Zwei Hünen standen in der Tür, und einer von den beiden, der die Statur einer Scheune, aber wohl ein schadhaftes Dach hatte, machte einen bedrohlichen Schritt vorwärts über die Schwelle und schlug sich vielsagend mit dem Knüppel in die Handfläche. »Das Haus gehört Seriema, genau wie alle anderen in dieser Gegend. Und keiner von diesem Abschaum hier hat in den vergangenen Monaten den Mietzins gezahlt, also will sie euch jetzt raushaben.«
»Aber … bitte …« Viora wusste, dass es nutzlos sein würde, doch sie wollte versuchen, noch etwas Zeit zu gewinnen. »Das ist nicht meine Wohnung, sie gehört dem Mann meiner Tochter. Wenn es vielleicht möglich wäre, noch zu warten, bis er zurückkommt …«
Der zweite Koloss, der die abgebrochenen Zähne und das vernarbte, klumpige Gesicht eines alten Faustkämpfers hatte, pfiff durch die Zähne und fluchte. »Ihr verdammtes Lumpengesindel ahnt gar nicht, wie es im wirklichen Leben zugeht, oder? Das alles gehört Seriema, ehrlich – und sie will, dass der
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