Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial
Aufhebens zurück und fuhr fort, als wäre nichts geschehen. »Was geschieht im Falle deines Todes, Seriema? Was wird aus den Jahren voller Selbstverleugnung und hingebungsvoller, harter Arbeit? Wer wird seinen Nutzen daraus ziehen?«
Seriema traf es wie ein Schlag, was die Suffraganin ihr vor Augen hielt, und sie staunte über das Ausmaß ihres Versäumnisses. Sie war so sehr davon besessen gewesen, Macht und Reichtum ihres Handelshauses über die schwierigen Jahre, die dem Tod ihres Vaters gefolgt waren, aufrechtzuerhalten, dass sie keinen einzigen Gedanken auf dessen Zukunft verwendet hatte. Verärgert und bestürzt wie sie war, unternahm sie einen empörten Ausfall gegen die Suffraganin. »Und was geht dich das an? Seit wann kümmerst du dich um mich? Oh, wir sind natürlich einmal Freundinnen gewesen, aber nachdem du alt genug geworden warst, um mit ihm zusammen dein Amt anzutreten, bist du nicht mehr in meine Nähe gekommen. Außerdem glaube ich kaum, dass du hier säßest, wenn nicht auch für dich ein Vorteil dabei herausspränge.«
»Nicht für mich – sondern für sie«, antwortete Gilarra und zeigte auf das schlafende Kind. »Und für dich, wie ich hoffe. Denn ich bringe dir deine Erbin, Seriema.«
Seriema fehlten die Worte, und in ihr tobte ein Sturm von Gefühlen. Einerseits empfand sie Neugierde sowohl auf die Vorfahren des Kindes als auch auf Gilarras Beweggründe, zugleich aber Zorn wegen der Einmischung in ihr Leben. Die verwahrloste Kleine, die zerzaust und blass, mit dem Daumen im Mund, auf der Liege schlummerte, weckte ihr Mitleid. Doch im erster Linie war Seriema besorgt – oder vielmehr verängstigt. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich einer Lage nicht gewachsen.
Wie sorgt man für ein Kind? Womit fange ich an? Was, wenn sie krank wird? Was, wenn sie es bereits ist? Auf jeden Fall sieht sie erbärmlich aus. Hat sie noch irgendwo Familie? Und was sage ich überhaupt einem Kind, das mir überlassen wurde wie ein abgelegtes Kleidungsstück?
»Nein.« Das Wort war heraus, bevor sie sich bewusst war, eine vernünftige Entscheidung zu treffen. »Es tut mir Leid, Gilarra – das kommt nicht infrage.«
»Wie schade«, sagte Gilarra leise. »Sie ist eine Waise, musst du wissen. Vollkommen überraschend, innerhalb eines Tages, sind ihre Eltern getötet worden. Auf Befehl des Hierarchen.«
»Nun, daran kann ich nichts ändern – Wie bitte? Aber warum, bei Myrial?«
»Seriema, hör mir zu – nur für einen Augenblick. Bitte. Ich brachte dieses Kind zu dir, weil du meine einzige Hoffnung bist, dass es die Zuwendung und den Schutz erhält, den es braucht. Ich kann dir nicht alles sagen …« Sie stockte und sah sie verstohlen an.
Verdammt! Wie gut sie mich kennt, dachte Seriema und spürte, wie die Neugier die Oberhand gewann. »Fahre bitte fort«, sagte sie und seufzte resigniert.
»Ihre Eltern hatten Kenntnis von einer Sache, die Zavahl nicht weiter verbreitet wissen wollte. Ihr Vater erlitt, sagen wir mal, einen tragischen Unfall. Ihre Mutter …« Gilarra zögerte. »Seriema, indem ich dir das erzähle, setze ich ein gewaltiges Vertrauen in deine Verschwiegenheit und in die Treue einer alten, wenn auch lange vernachlässigten Freundschaft. Die Mutter des Kindes wurde von den Gottesschwertern ermordet.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Wie ich es gesagt habe: Es geschah auf Anordnung des Hierarchen«, antwortete Gilarra hastig. Sie schaute Seriema geradewegs in die Augen und führte weiter aus: »Wir beide wissen sehr gut, dass Zavahl keine Möglichkeit bekommt, so etwas noch einmal zu tun. Aber es würde das Vertrauen in einen neuen Hierarchen nicht fördern, wenn diese Gräueltat jetzt im Volk bekannt werden würde. Des Weiteren vermute ich, dass Hauptmann Blank jede Zeugenschaft für die Verstrickung der Schwerter Gottes auslöschen will – und da liegt das Problem. Du musst wissen, Seriema, dass die Kleine ihre Mutter sterben sah.«
Seriema spürte, wie ihr die Farbe aus dem Gesicht wich. Mit Grausen sah sie das Mädchen an und fühlte Mitleid.
»In der Zitadelle hat man bereits versucht, die einzige Zeugin loszuwerden, aber ein mutiger junger Soldat hat sie gerettet. Gemeinsam haben wir ihr Entkommen vertuscht. Jetzt braucht sie einen Zufluchtsort, wo sie behaglich und sicher aufwachsen kann und das Geheimnis ihrer wahren Herkunft geschützt ist.«
Ein kalter Zorn hatte Seriema erfasst. »Wessen Kind ist sie?«
»Du musst verstehen, dass ich das nicht sagen darf. Auch
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