Der Schattenbund 02 - Der Geist des Steines
seine steifen Arme zurückgekehrt war. Dann drehte er sich auf den Rücken, um den Himmel beobachten zu können, doch es war äußerst zweifelhaft, ob er es gerade mit einer Bedrohung hätte aufnehmen können. Er erwartete jeden Moment einen spöttischen Seitenhieb von Aliana, und nur weil dieser ausblieb, bemerkte er, dass sie gar nicht bei ihm war. Seiner Erschöpfung zum Trotz sprang er auf. Kurz darauf tauchte sie hinter einem Felsbuckel auf, wählte vorsichtig ihren Weg über den unebenen Grund und geriet wieder außer Sicht, bis sie plötzlich vor ihm wie ein Kaninchen aus dem Loch zum Vorschein kam.
»Warum hast du nicht auf mich gewartet?«, fragte er.
»Weshalb? Wie können nicht den ganzen Tag hier oben zubringen, weißt du.« Sie stemmte die Hände in die Hüften. »Jetzt hör mir zu. Das Stehlen ist meine Verantwortung, darin waren wir uns einig. Hier oben stehst du im Rang unter mir. Also halt die Klappe und hör auf mich.«
Galveron war zu sehr Soldat, um das Vernünftige nicht zu begreifen. Widerstrebend nickte er, und wurde mit einem strahlenden Lächeln belohnt. Aliana beugte sich dicht zu ihm heran, damit der Wind ihre Worte nicht davon trug. »Gut. Wir lassen das Seil hier herunterhängen, für den Fall, dass ein schneller Abstieg nötig wird. Du bleibst also besser hier und bewachst es. Es ist klüger so«, fügte sie rasch hinzu, um den Widerspruch abzufangen, zu dem er bereits die Lippen spitzte. »Noch ist von den verfluchten Ungeheuern nichts zu sehen, aber du weißt, wie plötzlich sie aufkreuzen können. Wenn sie uns das Seil abjagen, sind wir geliefert. Es ist mächtig tief, um zu springen.«
Der Hauptmann seufzte. »Also gut. Aber sei vorsichtig. Und begib dich nicht außer Schussweite.«
Aliana zuckte die Achseln. »Wie weit ist das? Aber mach dir keine Sorgen. Das Versteck ist nicht weit weg. Ich bin zurück, ehe du merkst, dass ich fort war.« Ohne eine Antwort abzuwarten, stahl sie sich fort und verschwand zwischen den verschlungenen Senken und Graten.
Galveron nahm die Armbrust vom Rücken und beobachtete den Himmel ringsrum. Vom Feind war keine Spur, doch das beruhigte ihn nicht. Es schien zu stimmen, dass die Scheusale schliefen, solange es hell war, doch bei Myrials endlosem Regenwetter blieb es dabei, dass ihr Leben an einem seidenen Faden hing. Er blickte über den Heiligen Bezirk und dachte daran, wie das gesamte Volk von Tiarond dicht an dicht auf dem Platz vor dem Tempel gestanden hatte, um bei der Opferung des Hierarchen zugegen zu sein. Nachts träumte er noch immer von dem vielen Blut, hörte sie schreien und sah die Teufel über die wehrlosen Städter herfallen.
Schau nicht hinunter. Denke nicht daran zurück.
Stattdessen sah er zum Himmel hinauf und wartete auf Alianas Rückkehr. Wo zum Teufel blieb sie? Durfte er ihr vertrauen? Würde sie ohne Hilfe zurechtkommen? Er hoffte, keinen Fehler begangen zu haben, weil er sie hatte fortgehen lassen.
Aliana hatte zwischenzeitlich entdeckt, wonach sie gesucht hatte. Da war Packrats seltsam geformter Fels, der wie eine kniende Gestalt im Mantel aussah. Dann fand sie auch das tiefe Loch, das er ihr beschrieben hatte. Mit einem raschen Blick suchte sie den Himmel und den Berggipfel nach Anzeichen für Bewegung ab. Es wurde merklich kälter, je weiter der Tag voranschritt, und sie sah, dass wieder dunklere Wolken heraufzogen, genau wie beim letzten Mal, als sie hier oben gestanden hatte. Sie fluchte leise. Warum war ihr nicht aufgefallen, dass der Wetterverlauf am Chaikar sich regelmäßig wiederholte?
Kümmere dich nicht darum. Beeile dich lieber.
Nachdem sie sich noch einmal vergewissert hatte, dass alles ruhig war, wandte sie sich dem Felsbuckel zu und versenkte eine Hand in dem Loch.
Bis zum Ellbogen griff sie hinein, und ihre tastenden Finger erfühlten die harten, kalten Gegenstände, auf die es ankam. Sie arbeitete schnell, holte Hände voll funkelnder Pracht heraus, leerte das Versteck und ebenso die umliegenden Löcher und stopfte alles in den Sack, den sie sich um die Hüfte gebunden hatte. Es blieb keine Zeit, um nach dem Ring der Hierarchin zu stochern. Sie würde alles mitnehmen müssen, was zu finden war, und das Beste hoffen – und das war vielleicht ganz gut so. Eine allzu gründliche Untersuchung ihres Fundes wäre vor einer Säuberung kaum zu ertragen. An vielen Juwelen klebte das Blut der einstigen Besitzer, an anderen klemmten büschelweise Haare und stinkende Fleischfetzen. Mehr als einmal hatte
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