Der Schattenbund 02 - Der Geist des Steines
den Blick von ihm abwandte. Seelenqual und innerer Aufruhr zeigten sich deutlich auf seinem Gesicht. Grimm dachte mit Bitterkeit an die heilerischen Kenntnisse, die in Gendival gesammelt worden waren, und die zumeist ungeprüft und unerforscht blieben, weil der Schattenbund verfügt hatte, dass nichts davon an die Welt weitergegeben werden durfte.
Gab es etwas in dieser Schatzkammer des Wissens, das dem kleinen Jungen das Leben hätte retten können? Kalt ist ein guter Mann, begabt und einfühlsam. Warum darf ich ihm keine nützlichen Kenntnisse übermitteln, damit er Leben bewahren kann, anstatt es zu beenden? Warum sollen wir unsere Fähigkeiten nicht zu besserem Nutzen einsetzen? Stattdessen verstecken wir sie und geben uns lächerliche Namen wie Kalt und Grimm, und um unser Menschsein zu verhüllen, tragen wir diese Furcht erregenden Totenkopfmasken. Zudem tarnen wir unsere Kräfte durch alberne Zeremonien und geheimnisvolle Rituale, um einen Haufen ungebildeter, abergläubischer Leute über ihren wahren Charakter zu täuschen.
Grimm schüttelte den Kopf. Es war nicht richtig, dass Kalt so überflüssige Qualen litt. Er verdiente wirklich Besseres.
Blank sollte bald den nächsten Schritt tun. Ich weiß nicht, wie lange wir noch so weitermachen können.
»Was ist los, Boss?« Kazairl schaltete sich in Veldans Gedanken ein, kaum dass sie ihren Bericht an die Horcher beendet hatte. »Hat dich der alte Pferdearsch geärgert?«
»Wahrscheinlich nicht halb so viel wie ich ihn«, antwortete Veldan trübselig. »Dass wir Thirishri verloren haben, hat ihn schlimm getroffen. Er war so wütend, dass ich glaube, er hat nicht einmal die Hälfte davon verstanden, was ich erzählt habe.« Dann wechselte sie rasch das Thema. »Du bist nicht lange fort gewesen. Ich nehme an, die Jagd war erfolgreich?«
»Natürlich.« Man hörte ihm an, wie er grinste. »Das Frühstück kommt sofort, Schätzchen. Toulac ist schon dabei, es draußen überm Feuer zu braten.«
»Danke, Kaz. Wie herrlich wird es schmecken nach dem vielen Reiseproviant! Es scheint, als hätten wir schon eine Ewigkeit nichts Anständiges mehr zu essen gehabt. In Callisiora jedenfalls war überhaupt nichts zu kriegen.« Kaz hat sich dieses Frühstück verdient, dachte Veldan, während sie von dem Hügel herunterstieg. Er hatte sie allesamt den ganzen Weg von Tiarond bis zur Schutzhöhle getragen. Und obgleich er so geschwächt war wie jeder andere auch, war er für sie auf die Jagd gegangen. Als sie ihre Gedanken an ihn richten wollte, drängte sich ihr der flüchtige Geschmack von frischem Blut und fettiger Wolle in den Mund. »Bah!«, rief sie und spuckte aus. »Schaf.«
»Ich weiß«, sagte Kaz kläglich. »Alberne Geschöpfe! Ich werde mir noch tagelang die Wolle aus den Zähnen pulen. Aber es gibt hier draußen kaum etwas anderes, Boss. Die niedlichen kleinen Häschen taugen nicht viel für einen meiner Größe.«
»Solange du Cergorn keine Fellknäule entgegenhustest, wie neulich«, erwiderte Veldan. »Ich glaube nicht, dass unser ruhmreicher Anführer diese Beleidigung seiner Würde jemals verkraften wird.«
Kaz kicherte. »Wir kann sich nur jemand mit einem Pferdehintern über seine Würde sorgen?«
Irgendwie gelang es Veldan, ihr Lachen zu unterdrücken. Kaz empfand wenig Ehrfurcht vor hohen Persönlichkeiten – nicht einmal vor dem Anführer des Schattenbundes, der die wichtigste Person in ganz Myrial war. »Du benimmst dich gegenüber Cergorn«, befahl sie ihm ernst. »Er ist nun einmal der Archimandrit, und wir werden, wenn wir erst zurück sind, genug Schwierigkeiten haben, ohne dass du ihn reizt.«
»Ich?« Kaz war ganz gekränkte Unschuld. »Du bist ungerecht, Boss. Als ob gerade ich ihn nicht immer mit dem gebührenden Respekt behandeln würde, den alten Pferdearsch.«
Veldan seufzte und beschloss, das Thema nicht weiter zu verfolgen. Es würde ihn nur ermutigen. Glücklicherweise wurde sie davor bewahrt, eine Antwort geben müssen, denn Toulac rief von draußen. »Da kommt jemand, Mädchen. Ich vermute, dass es dieser Freund von euch ist.«
Schon kam ein tiefes Knurren von Kaz. »Richtig, es ist Elion. Aber erst an dem Tag, wo mir Flügel wachsen, werde ich ihn als meinen Freund bezeichnen.«
Elion kam auf seinem müden Pferd langsam über die Anhöhe geritten und hielt die Nase in den Wind, der ihm den Duft von gebratenem Hammel zutrug. Ein Stück unterhalb auf dem Hügel sah er Veldan auf die Schutzhöhle zuhalten, und ihre
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