Der Schattenbund 02 - Der Geist des Steines
ihr Gesicht. »Schließlich erwartet man nicht, dass die Hühner einer Plan schmieden, wie sie den Bauernhof übernehmen können, oder?«
*Ich dachte, du würdest das magische Volk eher mit den Füchsen vergleichen.*
»Ja, das tat ich. Du bist sehr aufmerksam, Luftgeist. Der Bauernhof ist ein schlechter Vergleich, weil er nahe legt, dass die Schöpfer uns für irgendetwas benutzen wollten. Aber in Wahrheit waren wir für sie nur Exemplare einer Sammlung von seltenen und seltsamen Kreaturen, die vom Aussterben bedroht waren. Deshalb verlegten sie uns an einen Ort, wo wir vor uns selbst geschützt wären, vor unseren zerstörerischen Trieben – und voreinander.«
*So viel Macht kann man sich kaum vorstellen*, meinte Thirishri nachdenklich. *Wie sahen sie überhaupt aus?*
Die Frau zuckte die Achseln. »Wie immer sie gerade wollten, kurz gesagt. Auch das lag in ihrer Macht. Wenn sie es wünschten, konnten sie die Gestalt jedes Bewohners auf Myrial annehmen, und darüber hinaus ein ganzes Heer anderer fremdartiger und wunderbarer Wesen. Manchmal erschienen sie als große lodernde Lichtkugeln, aber ich bin ziemlich sicher, dass das nicht ihre eigentliche Gestalt war. Ich bin davon überzeugt, dass wir niemals das wahre Gesicht der Schöpfer gesehen haben. Manchmal fragte ich mich, ob sie es selbst überhaupt noch kannten.«
*Ich frage mich, was ihnen passiert sein kann.*
»Was meinst du damit?«, fragte Helverien scharf.
*Nun, machtvoll oder nicht, sie sind verschwunden. Ich weiß nicht, wie lange du schon hier eingesperrt bist, aber seit dem Beginn unserer Geschichtsschreibung gibt es von den Schöpfern keine Spur mehr.*
»Was?« Der Ausruf klang zugleich bestürzt und hoffnungsfroh. »Aber was kann mit ihnen geschehen sein?
Und falls sie wirklich verschwunden sind, wer kümmert sich an ihrer Stelle um Myrial? Dies ist eine künstliche Welt, und weil sie so viele verschiedene Lebensräume enthält, beruht sie auf einem heiklen Gleichgewicht. Ohne Aufseher wird sie schließlich zerfallen!«
*Da sagst du was*, erwiderte Thirishri bekümmert. *Die Katastrophe ist bereits im Gange, und während wir hier reden, versinkt unsere Welt im Chaos. Sogar der Schattenbund ist dagegen machtlos …*
»Moment mal. Was ist der Schattenbund?«
Thirishri war verblüfft. *Du hast noch nie von uns gehört? Ich habe nicht geahnt, dass du so viel nachzuholen hast.*
Zu ihrer Überraschung kehrte die Magierin zu ihrem Stuhl auf der Terrasse zurück, setzte sich bequem hin und goss sich noch eine Tasse von dem eingebildeten Tee ein, der immer heiß und frisch war. Dann blickte sie auf und sagte unwirsch: »Nun? Schwebe nicht einfach nur da oben herum und vertrödele die Zeit. Bring mich auf den neusten Stand!«
*Aber das kann Jahre dauern*, erwiderte Thirishri entrüstet.
Helverien zuckte die Achseln. »Hast du etwas anderes zu tun?«
Der Weg durch den Tunnel war viel weniger beängstigend, als Scall es sich vorgestellt hatte. Eigentlich fühlte er sich recht stolz darauf, wie er sein erstes kleines Abenteuer bestand. Zuerst war er ein bisschen schreckhaft gewesen, weil die Flamme der Fackel im Luftzug wehte und lauter tanzende Schatten an die Wand warf. Aber es dauerte nicht lange, bis er – ziemlich verlegen – begriff, dass die verstohlenen Bewegungen, die er ständig aus den Augenwinkeln wahrnahm, nur seine schöpferische Deutung der flackernden Schattenspiele waren.
Der Tunnel führte steil und in vielen Kurven abwärts, und das Wasser floss knöcheltief. Doch bisher hielten seine Stiefel noch dicht. Was ihn dagegen sehr reizte, waren die eiskalten Wassertropfen, die ihm beständig auf den Kopf fielen. Die starke Zugluft, die von unten heraufwehte, trug einen dumpfen, nasskalten Steingeruch, und der Tunnel wirkte durch die unaufhörlichen Gurgellaute des Wassers und das Echo seiner klatschenden Schritte höchst lebendig.
Oben an der rechten Wand sah Scall einen rostigen Metallsteg, der augenscheinlich mit Bolzen im Gestein verankert war und zu dem in Abständen Eisenleitern hinaufführten. Ein günstiger Platz für die Tunnelwachen, vermutete er, und überlegte, ob es nicht ein guter Einfall wäre, dort oben entlangzulaufen und trockene Füße zu behalten. Doch der Steg sah ziemlich klapprig aus, und der viele Rost gefiel ihm gar nicht. Nein, er blieb besser auf dem Boden.
Schließlich würden auch die Pferde hier unten laufen müssen und konnten nicht dort hinaufklettern. Er musste also prüfen, ob der Boden für
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