Der Schattenbund 03 - Das Auge der Unendlichkeit
Dunkelheit. Alle anderen Sinne waren bis zum Äußersten beansprucht, um die Blindheit auszugleichen, und ehrlich gesagt auch sein Mut. Hier unten war es ganz entschieden unheimlich, und wenn irgendwelche Gefahren lauerten, dann zog er es vor, sie zuerst zu sehen. Mit leicht zitternden Händen zündete er die Kerze wieder an und stand auf, wobei das heiße Wachs über seine Finger lief.
Er machte, dass er schleunigst aus diesem beweglichen Raum wegkam, nur für den Fall, dass der sich wieder zu bewegen gedachte, aber dann war es ganz gut, dass er nicht weiter gegangen war. Denn plötzlich stellte er fest, dass der Boden knapp geworden war und er am Rand eines gähnenden schwarzen Lochs schwankte. Mit einem grausigen Fluch sprang Packrat zurück. »Was ist das hier für ein dämlicher verfluchter Mist?«, knurrte er.
Er stand auf einer kleinen viereckigen Plattform, die drei Schritt in jede Richtung maß und sich über einen Abgrund schob. Sie schien aus demselben glatten, trübe schimmernden blau-schwarzen Metall gemacht zu sein wie der sich bewegende Raum. Eine schmale Metallbrücke – von unfassbar lächerlicher Gestalt und zwei Fuß Breite, die weder Geländer noch sonst etwas zum Festhalten bot – wölbte sich über den Abgrund zu einer zweiten kleinen Plattform hinüber, die auf höchst beunruhigende Weise, weil ohne sichtbare Stütze, in der Luft zu schweben schien. Darüber wiederum, ebenfalls im freien Raum schwebend, befand sich so etwas wie ein großer Reifen, der auf der Seite stand.
Von Aliana war keine Spur. Packrat getraute sich nicht, noch einmal nach ihr zu rufen. Wer konnte wissen, was hier unten vielleicht lauerte? Stattdessen nahm er eine sorgfältige Untersuchung der Plattform vor, auf der er stand, aber wie erwartet führte kein anderer Weg davon weg als der, den er gekommen war, und der, welcher über die dürftig aussehende Brücke und den Abgrund führte.
Das passt mal wieder!
Das Licht der Kerze reichte nicht sehr weit hinunter, und der Boden des Abgrunds war zweifellos nicht zu sehen. Packrat zuckte die Achseln und lief behände und geübt über die Brücke. Häusersimse hatte er nie als die Würze seiner Arbeit empfunden, aber er hatte genug Übung damit, besonders in diesen harten Zeiten, um ein ausgezeichnetes Gleichgewichtsgefühl zu besitzen – wenigstens solange der Untergrund stillhielt. Als er auf der anderen Seite angelangt war, nahm er eilig den schlanken Sockel in Augenschein, der dort stand, aber soweit er es beurteilen konnte, diente er weder einem Zweck, noch war er eine Zierde.
Und wo zum Kuckuck ist diese verflixte Aliana?
Noch einmal begann er mit einer peinlich genauen Untersuchung des Bauwerks, auf dem er stand. Der runde Sockel erhob sich fugenlos aus dem Boden, als wäre beides aus einem Stück gehauen. Dahinter befand sich nur noch die Kante der Plattform. Oberhalb in unbestimmter Höhe hing der große Reifen in der Luft. Unterhalb war nichts als Schwärze.
Verflucht, es muss einen Weg von hier weg geben! Sie kann nicht geflogen sein!
Er trat gegen den Sockel, stieß sich die Zehen und fluchte ausgedehnt und erfinderisch. Dann begab er sich zähneknirschend auf alle Viere und begann Stück für Stück die Kanten der Plattform abzutasten. Der einzige Weg von dem Ding fort ging nach unten. Es musste irgendwelche Stufen oder eine Leiter geben. An der dritten Seite fand er sie: eine schmale Strickleiter, an der Unterseite festgemacht, wo man sie nicht sehen konnte. Aliana musste das alles beträchtlich schneller herausgefunden haben als er. Er hatte abgewartet, bis der Wächter oben im Tempel ganz sicher abgelenkt war, bevor er sich davonmachte, und das hatte ihn ein wenig aufgehalten, aber so weit war er auch wieder nicht hinter ihr zurückgeblieben.
Packrat drückte die Kerze in eine frische Wachspfütze am Rand der Plattform und ließ, mit dem Fuß nach der Leiter tastend, ein Bein hinunter. Auf diese Leiter zu steigen war eine der unerfreulichsten Erfahrungen seines Lebens. Der glatte Metallboden bedeutete, dass man rein gar nichts zum Festhalten hatte, und er musste über die Kante krabbeln, so dass er beinahe frei über dem unwägbaren Abgrund hing, während er die Füße an Ort und Stelle setzte und dann – was noch schlimmer war – eine Hand loslassen musste und dann die andere, um die erste Sprosse zu packen. Bis er sich endlich ganz an die Leiter klammerte und damit frei im Raum schwang, schwitzte und zitterte er, und seine Därme fühlten sich an
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