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Der Schattengaenger

Der Schattengaenger

Titel: Der Schattengaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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eine  Bangigkeit an ihr, die sie vorher nicht gekannt hatte. Das Telefongespräch mit Merle hatte sie ein wenig ruhiger werden lassen. Später hatte sie noch lange mit Jette gesprochen und sich an der Zuversicht ihrer Tochter aufgerichtet. Sie kannte die Kraft der Mädchen und verließ sich auf ihr Versprechen, nicht wieder Detektiv zu spielen und sich keiner Gefahr auszusetzen.
    Als sie den Laptop verstaut hatte, brach sie in Tränen aus. Sie kam nicht zurecht mit dieser Situation, hasste es, untätig abzuwarten und zuzuschauen, ohne eingreifen zu können, um den Gang der Ereignisse zu beeinflussen. Wäre sie jetzt zu Hause gewesen, wäre sie in den Garten hinausgegangen, um stumm Zwiesprache mit dem Bussard zu halten. Er war mehr als ein Vogel.
    Er war ein magisches Geschöpf.
    Doch sie war nicht zu Hause, hielt sich immer noch in einem dieser vor Schiefer strotzenden Orte im Sauerland auf und in der Geschichte, die sie schrieb und die gleichzeitig ihre eigene Geschichte war. Wenn sie den Roman glücklich enden ließe, würde vielleicht auch in ihrem Leben alles wieder gut.
    Imke trocknete sich die Augen und raffte die letzten Sachen zusammen, die noch auf dem Bett verstreut lagen. Sie würde nicht kapitulieren. Das war sie sich selbst schuldig. Und Frau Bergerhausen. Wenn sie durchhielt, würde der Schattengänger sein krankes Spiel nicht gewinnen.
     
    Tilo saß in der Abendsonne, um einen Vortrag auszuarbeiten. Auf dem Terrassentisch gab es keine freie Fläche mehr. Überall stapelten sich Bücher und Fachzeitschriften, Nachschlagewerke und Notizen. Auf der Wiese, die Imke verpachtet hatte, grasten nach langer Zeit wieder die Schafe. Tilo konnte hören,  wie sie das Gras rupften, unermüdlich und sacht. Er merkte, dass sie ihm in den vielen dunklen Wintermonaten gefehlt hatten, und wunderte sich darüber. Es war ihm nicht bewusst gewesen.
    Beim Nachdenken ließ Tilo den Blick über das Land schweifen. Er versuchte, nicht an den Bussard zu denken. Es war, als hätte jemand einen Teil des Bildes ausradiert. Und nun war es nicht mehr ganz.
    Wie sollte er es Imke beibringen? Und wann?
    Sie war auf dem Sprung, immer kurz davor, die Koffer zu packen und nach Hause zu kommen. Er sehnte sich danach, aber er sah auch ein, dass es eine unverzeihliche Dummheit wäre.
    Seit sie fort war, telefonierten sie jeden Tag miteinander. Ihm war aufgefallen, dass eine neue Art von Zärtlichkeit in ihrer Stimme mitschwang, etwas, das ihn rührte und ihn zweifellos jederzeit dazu gebracht hätte, ihr alles zu verzeihen.
    Dabei war sie es, die ihm vergeben musste. Eigentlich war es seine Nachlässigkeit gewesen, die ihr den Bussard genommen hatte. Er hätte besser achtgeben müssen auf alles.
    Er fühlte sich so ausgebrannt. Seit er die Leere, die Imke hinterlassen hatte, mit Arbeit füllte, hatte sein Tag achtzehn Stunden. Wenn ihn morgens der Wecker aus dem Schlaf riss, hatte er das Empfinden, aus einer tiefen Ohnmacht zu erwachen, und er trank literweise Kaffee, um bis zum Abend durchzuhalten.
    Selbstzerstörung, diagnostizierte der Psychologe in ihm.
    Ach, halt die Klappe, dachte Tilo, stand auf und ging in die Küche, um sich einen weiteren Kaffee zu holen. Es gelang ihm nicht, sich an die Stille in den Räumen zu gewöhnen. Gehörte er inzwischen auch zu denen, die vor sich selbst auf der Flucht waren?
    Wie oft hatte er über Abhängigkeit in Beziehungen doziert.  Wie sehr war er davon überzeugt gewesen, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben. Und wie stand er nun da. Allein. Und ihm war zum Heulen zumute.
    Er hat es geschafft, dachte er mit überraschender Klarheit, als er die volle Tasse vorsichtig zur Terrasse balancierte. Es ist diesem Kerl gelungen, uns allen den Boden unter den Füßen wegzuziehen.
     
    Die Frühbesprechung hatte alle Beteiligten frustriert. Bert hatte den bisherigen Ablauf der Ermittlungen vor den Kollegen rekapituliert und sich bemüht, dabei nicht auf die noch schlaftrunkenen, ausdruckslosen Gesichter zu achten, die ihm fast widerwillig zugewandt waren.
    Sie hatten die ganz normale Knochenarbeit getan, hatten Spuren gesichtet und ausgewertet, Hunderte von Befragungen hinter sich gebracht, ein Täterprofil erstellt und über die Einbeziehung der Medien einen Schwall an Zeugenaussagen losgetreten, denen sie immer noch nachgingen.
    Dennoch hatten sie das Gefühl, auf der Stelle zu treten.
    Der Chef hatte seinem Ärger Luft gemacht. Auf der letzten Pressekonferenz hatte er keine gute Figur

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