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Der Schattengaenger

Der Schattengaenger

Titel: Der Schattengaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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verschweigen zu können?
    »Und wenn?«
    Indem sie den Schattengänger zum Thema machte, nahm sie den Kampf gegen ihn auf. Tilo würde das nicht begreifen. Niemand würde das tun. Imke schob trotzig die Unterlippe vor.
    Sie brachten das Gespräch zu Ende, ohne einander zu verstehen. Als Imke das Handy wieder weggesteckt hatte, schwang Tilos ungläubiges Erstaunen noch in der Luft. Imke fühlte sich schuldig und ärgerte sich darüber. Sie hob die Hand, um die Serviererin auf sich aufmerksam zu machen, und bestellte noch einen Kaffee.
    Sie sah Frau Bergerhausen vor sich. Ihre gedrungene Gestalt, die breiten, kräftigen Hände, das krause graue Haar. Die vollen Wangen mit dem blauroten Geflecht winziger geplatzter Äderchen. Sie hörte sie mit ungeübter Stimme ganze Arien schmettern und erinnerte sich schuldbewusst daran, wie sehr ihr das beim Schreiben oft auf die Nerven gegangen war.
    Frau Bergerhausen war eine einfache, geradlinige Frau gewesen. Ihre Putzstellen hatten es ihr erlaubt, sich ein wenig von ihrem Mann zu emanzipieren, über den sie so gut wie nie gesprochen hatte. Sie schien in den Stunden, die sie in der Mühle verbracht hatte, vollkommen glücklich gewesen zu sein.
    Und jetzt würde man sie beerdigen.
    Die Beerdigung! Imke konnte doch nicht der Beisetzung eines Menschen fernbleiben, der ihretwegen sein Leben verloren hatte.
    »Warum?«, murmelte sie. »Warum hat sie sterben müssen?«
    Hatte sie den Schattengänger gestört? Hatte sie sein Gesicht gesehen? Ihn erkannt? Hatte er eine Zeugin beseitigen wollen? Oder hatte er sie umgebracht, weil sie ihm Imkes Aufenthaltsort nicht verraten konnte?
    Und Jette? Würde sie die Nächste auf seiner Liste sein?
    Unwahrscheinlich. Er konnte sich jetzt ausmalen, dass niemand etwas wusste.
    Imke trank ihre Tasse aus, zahlte und verließ das Café. Sie wickelte sich den Schal fest um den Hals und lief auf die Felder hinaus. Der Wind pfiff ihr um die Ohren. Schwere weiße Wolken jagten über den Himmel. Doch immer wieder kam die Sonne hervor und sie hatte schon eine erstaunliche Kraft.
    Imke sog die Eindrücke hungrig auf. Dachte nach. Und lief und lief.
     

Kapitel 17
    Bert hatte schon so manche Beerdigung auf dem Land erlebt, aber er hatte sich noch immer nicht an die Bräuche gewöhnt. Männer und Frauen legten den Weg von der Kirche zur Trauerhalle getrennt voneinander zurück, angeführt vom Pfarrer in seinem Messgewand, der durch ein Megafon Fürbitten verlas. Seine blecherne, leiernde Stimme gab den Takt vor. Die Antworten waren ein vielfältiges schleppendes Murmeln.
    Wir bitten dich, erhöre uns.
    Die dünnen Frauenstimmen waren in der Überzahl. Die der Männer waren kaum lauter als ihr Schlurfen und nur bruchstückhaft zu verstehen.
    … bitten dich … höre uns.
    Die Länge des Trauerzugs war respektabel. In den Dörfern kannte jeder jeden, und es gehörte sich, mitzugehen.
    … bitten dich …
    Der Sarg war anständig aufgebahrt, nicht mehr und nicht weniger. Keine üppigen Gestecke, keine elegant aufgemachten Kränze und Schleifen, sondern handfeste, schlichte Gebinde. Die Bergerhausens waren nicht wohlhabend gewesen. Das hatte ihr Leben bestimmt und das bestimmte auch ihren Tod.
    … erhöre uns.
    Männer und Frauen, nun nicht länger getrennt, standen mit verschränkten Händen in der Trauerhalle und hörten dem Pfarrer zu, der über den Tod und das Jenseits dozierte, lustlos  und unkonzentriert. Immer wieder musste er neu ansetzen, weil es ihm nicht gelang, einen Gedankengang bis zu Ende zu verfolgen.
    Ein erbärmliches Schauspiel. Bert, der an der offenen Tür stand, verspürte das Bedürfnis, sich vor Scham und Verlegenheit in Luft aufzulösen.
    Auf einer mit einem schwarzen Tuch dezent verhüllten Karre wurde der Sarg von einem kräftigen jungen Mitarbeiter der Friedhofsverwaltung langsam zum Grab gezogen. Bert vermisste die Sargträger mit ihren weißen Handschuhen. Sie hätten dem Ganzen ein wenig Würde verliehen. Vielleicht wäre das fehlende Engagement des Pfarrers dann gar nicht mehr so sehr ins Gewicht gefallen.
    Bert hatte zwei Kollegen gebeten, Fotos zu machen. Der eine hatte sich mit seiner Kamera diskret hinter einer Thujagruppe aufgebaut, der andere verbarg sich hinter einer halbhohen Kirschlorbeerhecke. Obwohl Bert nicht glaubte, dass der Mörder sich unter die Trauergemeinde gemischt hatte, um der Vollendung seines Werks beizuwohnen. Regina Bergerhausen war ein Zufallsopfer gewesen. Sie hatte den Mörder ungewollt gestört, da

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