Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schattengaenger

Der Schattengaenger

Titel: Der Schattengaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
Vom Netzwerk:
dachte Manuel. Hinfälligkeit war ihm zuwider. Seiner Meinung nach sollte man es mit den Alten machen wie die Eskimos früher - sie zum Sterben in den Schnee oder sonst wohin schicken und fertig.
    Er hatte Mühe, sich das Mädchen hier vorzustellen, tagein, tagaus. Für die Tochter einer berühmten Mutter gab es doch wirklich andere Möglichkeiten. Aber offensichtlich war sie eigenwillig, sonst wäre sie nicht schon als Schülerin in eine Wohngemeinschaft gezogen.
    Manuel kannte diesen Typ Frau, dem nichts wichtiger war, als auf eigenen Beinen zu stehen und niemandem etwas schuldig zu sein. Er schüttelte den Kopf. Wie konnte jemand Abstand zu Imke Thalheim suchen? Er hätte seinen rechten Arm dafür gegeben, ihr nah sein zu dürfen.
    Kaum war ihm der Gedanke durch den Kopf geschossen, da fühlte er wieder diese ohnmächtige Wut in sich aufsteigen.  Wo ist deine Mutter? Er hatte das Bedürfnis, aus dem Wagen zu steigen, ins Heim zu stürmen und das Geheimnis aus dem Mädchen herauszuprügeln. Bevor er den verrückten Impuls in die Tat umsetzen konnte, startete er rasch den Motor und fuhr weiter, diesmal Richtung Tierheim. Gründlichkeit und Geduld waren seine Stärke. Nur so konnte man seine Ziele erreichen.
    Er würde Imke Thalheim auftreiben. Es war nur eine Frage der Zeit. Sie konnte sich schließlich nicht ewig vor ihm verstecken. Und dann würde er klarstellen, wer hier das Sagen hatte.
     
    Mehrmals schon hatte Imke die Unterkunft gewechselt und diesmal vorsichtshalber auch den Ort. Das hatte sie mit dem Kommissar vereinbart. Sie lernte rasch, wie man seine Spuren verwischt.
    Immer wenn sie das Haus verließ, schaute sie sich zuerst gründlich um. Sie hatte sich angewöhnt, auf alles zu achten und jedes Detail zu registrieren, das ihr sonderbar vorkam. Ein Mann, der bei Regenwetter eine Sonnenbrille trug. Ein Postbeamter, der ein wenig zu lange in seiner gelben Fahrradtasche wühlte. Ein Kellner, der zu langsam oder zu freundlich den Kaffee servierte.
    All das nahm sie wahr. Vor all dem fürchtete sie sich.
    Wie eine Schlange hatte sie ihre Häute abgestreift. Sie hatte ein neues Handy, eine neue Nummer, ein neues Autokennzeichen. Ihre Homepage hatte sie aus dem Netz genommen. Sie hatte sich selbst eines großen Teils ihrer Identität beraubt, obwohl sich alles in ihr dagegen sträubte.
    »Bitte!« Imke hatte die Stimme des Kommissars noch im Ohr. Sie hatte festgestellt, dass sie ihm bedingungslos vertraute. Er war der Einzige, der sie bisher hier aufgesucht hatte, und heute würde sie ihn wieder treffen.
    Die neue Umgebung war eine willkommene Abwechslung. Es machte Imke Freude, sie zu erkunden, auch wenn sie der einsamen Spaziergänge allmählich überdrüssig war.
    Mit dem neuen Buch kam sie besser voran, als sie gedacht hatte. Die Figuren nahmen in ihrem Kopf Gestalt an und entwickelten ganz allmählich ein Eigenleben auf den Seiten ihrer Geschichte.
    Sie schrieb über ihn. Zoomte ihn in der Stille ihres Pensionszimmers heran und versuchte, ihm in die Augen zu sehen. Doch er blieb immer als dunkler Schatten am Fenster stehen, eine mittelalterliche Kapuzengestalt, die sie frösteln ließ.
    Die derbe Landschaft drückte Imke aufs Gemüt. Nach dem  langen Winter hatten die Bauern die Kühe wieder auf die Weiden getrieben, und die Tiere hatten sich über das Gras hergemacht und über den reich verstreuten Löwenzahn, dessen Gelb die Wiesen zum Leuchten brachte. Die Kälte ließ sich nur schwer aus den Tälern vertreiben.
    Auf ihren Spaziergängen führte Imke lange Gespräche mit Frau Bergerhausen. Sie wünschte sich, sie hätte sich Zeit für sie genommen, als sie noch lebte.
    Abschiede. Wieder und wieder.
    Manchmal kamen ihr unterwegs die Tränen, doch sie brachten Imke keine Erleichterung. Ihre Augen brannten, ihre Lider schwollen an, ihre Nase war verstopft und in ihrem Kopf dröhnte es.
    Ein Mensch war ihretwegen gestorben. Imke verabscheute den Mann, der dafür verantwortlich war, aus tiefster Seele.
     
    Während der Fahrt hielt Bert sein Augenmerk auf jedes Fahrzeug gerichtet, das ihm in irgendeiner Weise auffiel, sei es, weil es zu lange hinter ihm blieb, sei es, weil der Fahrer sein Gesicht hinter einer Sonnenbrille versteckte. Er glaubte zwar nicht, dass der Schattengänger ausgerechnet ihn verfolgte, um Imke Thalheim aufzuspüren, aber man wusste ja nie, was im Kopf eines solchen Menschen vor sich ging.
    Als Polizeibeamter war er an das gewöhnt, was er seinen doppelten Blick nannte. Er nahm nicht

Weitere Kostenlose Bücher